Flieg’ mich zum Mond!

28.10.2016, 10:15 Uhr
Flieg’ mich zum Mond!

© Foto: Tim Händel

Wie derzeit kaum ein anderer Musiker verwebt Markus Schieferdecker Bassfunktion und Kontrapunkt, spielt mit rhythmischen Elementen zwischen Klassik und Pop. Lässig löst er in der Grünen Halle den Jazz aus starren Formen, ohne sie zu sprengen. Ein Zerstörer ist er nicht, viel lieber errichtet er einen ganzen Klangkosmos. So lässt er seiner Musik die Freiheit zum Atmen, ohne die Geschichte infrage zu stellen. Nicht mal vor „Moon River“ schreckt er zurück, allerdings in einer so eigenwilligen Bearbeitung, dass nichts Süßliches übrig bleibt. Sein Arrangement klingt modern, ohne gefällig zu sein. Schieferdeckers polyphones Spiel jongliert mit dem Free Jazz wie mit einem Jojo: nie zu viel tun, nicht übertreiben, sondern konzentriert bei der Sache bleiben.

Begleitet wird er von Joris Dudi am Schlagzeug, Christian Torkewitz am Sax und Martin Sasse am Piano. Sie bringen hauptsächlich Eigenkompositionen von Schieferdecker aus seinem aktuellen Projekt „Asteroid 7881“, die mal auf dem Hard Bop, mal auf dem Free Jazz und mal auf klassischer Musik basieren und immer beweisen, dass der Bass kein Begleit-, sondern ein Solo-Instrument ist. In seinem turbulenten, aufbrausenden Stil ist er zentrales Nervensystem und Herz der Musik in einem. Dudi am Schlagzeug baut furiose Song-Gebäude, die Sasse am Piano wie Vorlagen ausmalt und zu komplexen Klang-Großgemälden erweitert. Torkewitz bläst vertrackte Rhythmus-Wechsel, genießt atonale Einschübe und zelebriert gelöste, einfach schöne Klänge. Und genauso funktioniert diese Combo auch. Erschreckend perfekt. Aber ein Hörgenuss.

*Was in Kufo und Grüner Halle vor großem Publikum abgeht, das funktioniert auch im kleinen Kreis im Babylon-Keller. Dort traten die altgedienten Fürther Schiepers Kriepers mit einem speziellen Bass auf — mit der Bassstimme des Sängers Markus Simon.

Besinnlich geht es los mit einem Gospel, „We shall all be changed“. Doch so, wie Markus Simon zulangt, kann von Teekränzchen-Besinnlichkeit nicht mehr die Rede sein. Hier geht es um die Verwandlung des Menschen von Grund auf; das bedarf einer Stentorstimme, die sich aber nicht in Lautstärke allein, sondern zusätzlich in einer Intensität und Intimität äußert, die tiefste und leidenschaftlichste Gefühle zu wecken vermag.

„Wenn ich so viele Oratorien in den Kirchen singe, denke ich mir: Ein bisschen Swing muss sein“, gesteht Markus Simon. Und schon geht es beschwingt los mit Caterina Valentes „Ein bisschen Swing muss sein, sonst schläft der Fuß noch ein“. Danach kommen Standards und Klassiker zum Zuge, die Simon mit Budde Thiem am Klavier, Robert Wagner am Kontrabass und Klaus Weinmann am Schlagzeug zelebrierem: „I can’t give you anything but Love“, Gershwins „Summertime“, „Autumn Leaves“ und sogar Elton Johns „Your Song“, allerdings in Al Jarreaus Umdeutung. Und wo der Text nicht ausreicht, da vokalisiert Simon im schönsten Scat- Gesang vor sich hin, dass es eine Freude ist. Auch Eigengewächse sind zu hören, wie Budde Thiems „Little Bird from the Tree“, ein wunderschönes Stück, worin Stimme und Piano ein intimes Zwiegespräch eingehen.

Nach der Pause: Jam-Session. Wer Lust und ein Instrument dabei hat, darf mitmachen, und schon füllt sich die Bühne nebst der üblichen Besetzung mit Gastsaxofonen, Gitarre und E-Bass sowie gestopfter Trompete. Auch hier werden die Klassiker zelebriert, etwa Henry Mancinis wehmütige Filmmelodie „Days of Wine and Roses“, werden melodische Seitenstraßen und Nebenwege erkundet und improvisiert, bis alles wieder in den melodischen Hauptstrom mündet. „Fly me to the Moon“ heißt es am Schluss. Mit dem Babylon-Keller als Startrampe kann es gern bis zum Mars gehen.

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