Fluch und Segen oder Der Boxkampf am Rande der Wüste

24.5.2011, 09:00 Uhr
Fluch und Segen oder Der Boxkampf am Rande der Wüste

© Winckler

In einer gottverlassenen Gegend, die nach Öl stinkt und Schweiß und in der man Sand im Mund hat, wenn man nicht gerade Gottes Namen im Munde führt, ist ein Gerüst aufgebaut. Eine gewaltige Bühne, unfassbar hoch, neben der die Plattform des „Free Nelson Mandela“-Konzertes wie ein Kasperletheater wirkt. Ein Opus aus Stahl und Feuerleitern. Falken umkreisen das merkwürdige Bauwerk. Noch ist das heisere Rufen der Vorarbeiter zu hören.

Kräne bewegen sich, Stahlträger von Ebene zu Ebene verlagernd, denn der Blick soll weit schweifen können am Ende, westwärts den Nil grüßen dürfen und die Spitzen der Pyramiden, auch das Horn Afrikas umfassen, die Felsengebirge des Jemen, nach Osten hinübergleiten zum Zweistromland und hängenbleiben an den Bergen des Iran. Vor den Augen der Welt soll hier DER KAMPF ausgetragen, das EXEMPEL statuiert werden: Der Herausforderer, der Bösewicht, das Leichtgewicht Saddam H. wird hier auftreten gegen den Meister aller Klassen, den Champion, das Schwergewicht George W. B., Präsident der Vereinigten Staaten.

Selbst wird er nicht kämpfen können zu seinem Bedauern, das erlauben sein Alter nicht und die schwache Statur, auch wenn sein Gang federnd wirkt und beschwingt, wenn er die Treppen hinaufstürmt zum Kapitol. Nein, für ihn kämpft und für Amerika und für die Freie Welt General Norman S., ein Goliath, ein Hüne von Geist und Bravour, schwergewichtig, mit Blei in den Schuhen, dass der Wind ihn nicht umweht in dieser schier unmenschlichen Höhe.

Die Welt soll menschlicher werden, überschaubarer, fein säuberlich soll das Böse vom Guten getrennt werden, und so hat man zurückgegriffen auf alte Traditionen einer großen Ritterkultur: Im freien Raum, auf offener Bühne zwischen den Lagern finden die Kämpfe statt, Stellvertreterkämpfe. Unübersehbar sind die Heerscharen, die zu beiden Seiten des Turmes lagern, im Hintergrund beteiligte und unbeteiligte Nationen, Frauen, Kinder, Stammtischrunden, Round-Table-Spezialisten, Theologen und Nah-Ost-Experten, allen voran Scholl-Latour mit der hängenden Lippe.

Das Publikum ist von unendlicher Spannung erfüllt. Es gibt wohl niemanden in diesem weiten Feld, der neutral über diesen unglaublichen Kampf berichten könnte. Als Teufel werden die jeweiligen Gegner beschrieben, als Ölmagnaten, Blutsauger, Supercops, skrupellose Kapitalisten, Kolonialisten, Kreuzzügler oder islamische Fundamentalisten. Wenig nur lässt sich voraussagen über den Ausgang der Kämpfe. Zwar: David kämpft gegen Goliath, aber Goliath ist nicht der tumbe Tor, nein, Goliath verfügt über ein Superhirn, eine ausgezeichnete Logistik, Fäuste, die tödlich treffen können. Sein Schwachpunkt ist nur: die Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung. Ist sein Leib auch gut gepanzert, unverwundbar, ein Siegfried fast, so drückt ihn doch das Lindenblatt der Öffentlichkeit: Wird man wieder einmal schlecht über ihn berichten, ihm die Rolle des Friedensfürsten absprechen? Werden Pfiffe die sensible Seele des Champions lähmen? Gut Freund will er sein mit allen, nicht als hässlicher Riese erscheinen. Fair will er sein und groß und dann beobachten müssen, wie klammheimliche Sympathie sich regt für den Gegner, leise erst, dann immer lauter, ach, das tut weh.

Also versucht der Trainer Goliath abzuschirmen. Auf den Monitoren, die den Kampf verfolgen, sollen nur die Bilder erscheinen, die den Kämpfer aufbauen, nicht ihn lähmen. Ein keimfreier Krieg. Mit verbundenen Augen steht der Gigant im Ring, ein Nachtsichtgerät vor die Stirn gebunden als drittes Auge, das ihm zutickt, tröstend, aufmunternd: Treffer, versenkt. Windmühlen gleich rotieren seine Fäuste, 50000 Einsätze in 25 Tagen — und noch ist kein Ende abzusehen.

Und Saddam Hussein, der Landräuber, selbsternannter Einiger der arabischen Welt: Ist er das Original oder steht für ihn ein Double auf der Bühne? In jeder Amtsstube hängt er, auf jeder Truppenparade tritt er uns hydraköpfig entgegen. Er duckt sich unter den prasselnden Schlägen weg, er springt zur Seite und schüttelt sich beinahe ungerührt. Wild schüttelt er seine Fäuste, schleudert Scud-Raketen weit in die Menge. Er hat den Sündenbock ausgemacht unter den Zuschauern, Israel, ihm droht er die Auslöschung an. Und seine Drohungen sind glaubhaft und radikal und das Äußerste zu sprengen bereit: Ein Bullterrier ist er geworden, rasend, der sich im Unterleib verbeißt. Ein Teil der Menge rast, springt auf, bereit, die Bühne zu stürmen, Schaum vor dem Mund. Lynchstimmung kündigt sich an, die Massenschlägerei im Publikum. Ordner eilen herbei, wiegeln ab.

Und ich selber, berichtend, Friedensbuttons auf der Brust, Pazifist, erkenne lustlos: Es gibt Leute, denen man nie dieses Forum hätte geben dürfen. David, ein Mann, der keine Tabus kennt: Giftgas! Jahre schon vor der Schlacht, las ich, habe sich Saddam bei einem DDR-Toxikologen erkundigt: Deutschland habe doch Erfahrung mit der Vergiftung von Juden. Ob man diese Erfahrung nicht weitergeben könne an ihn.

Tiefschlag. Der schlimmste aller Schläge. Die Nieren schmerzen. Diese zynische, mörderische Bereitschaft hat David ja dann im Einsatz gegen die Kurden bewiesen. O David, meine Sympathie für dich steht auf windigem Boden, es gibt keine eindeutige Position für mich. Kein Blut für Öl? Ja! Kein Blut für Israel? Nein! Freunde schauen mich vorwurfsvoll an. „Diese Palästinensermörder?“ „Kugeln gegen Steine werfende Kinder?“ Es gibt durchaus das Richtige im Falschen wie das Falsche im Richtigen. Wenn ich eine Sehnsucht nach dem eigenen Staat nachvollziehen kann, dann tue ich es hier! 2000 Jahre Wartezeit im ungeschützten Stand der Minorität legitimieren dazu.

Die gierige Atemlosigkeit des Champions widert mich an. Der Countdown läuft. „Wir hätten sonst das Gesicht verloren“, hört man. Das amerikanische Gesetz des Handelns. Der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Der Kampf hoch oben im Äther geht weiter. Goliaths Fighter täuschen uns Eintragungen ins Poesiealbum der Menschenliebe vor. Der Verteidigungsminister schreibt auf eine Bombe: Für Saddam. In Liebe. Dann der Einschlag im Bunker. Die Toten. Die Kinder — bescheidene Nebenschäden. Modest collateral damage...

Ich drehe mich im Kreis und zünde doch wieder Kerzen an. Libyen. Afghanistan. Somalia. Krieg oder Frieden, Segen oder Fluch. Zwei Seiten einer Medaille. „Es ist Krieg, und ich begehre, nicht schuldig zu sein.“ Denkst du. Ratlos.