Flüchtlinge lernen singend Deutsch

13.10.2015, 11:52 Uhr
Flüchtlinge lernen singend Deutsch

© Fotos: dpa

Singen und dabei Deutsch lernen, wie geht das?

Flüchtlinge lernen singend Deutsch

Magnus Gaul: Musik eignet sich sehr gut, um sich grammatikalische Strukturen kindgerecht zu merken. Denn durch die Melodie bleibt die Grammatik eher im Kopf. Das haben wir bei vielen Schulbesuchen festgestellt. Und ein Gefühl für Ton und Takt bringt jedes Kind mit, egal aus welchem Land.

 

Wie sieht so ein Unterricht in der Praxis aus?

Gaul: Es gibt Rollenspiele, in denen wir typische Situationen nachstellen, etwa die Begrüßung. Dabei üben wir zum Beispiel Verben und ihre richtige Konjugation. Die jeweiligen Formen sollen aber nicht auf der Tafel Stück für Stück vorgebetet werden, sondern in einem Lied verpackt sein. Es ist nicht nur ein lustiges Singen von Liedern, die Kinder sollen darin auch einen Sinn erkennen.

 

Geht es dabei hauptsächlich um die Grammatik?

Gaul: Die gehört natürlich dazu, um die Sprache zu beherrschen. Aber es ist auch wichtig, dass die Kinder einen Satz vollständig abschließen und nicht in Bruchstücken reden. Beim Singen lernen sie auch die Sprachmelodie. Im Deutschen zum Beispiel senken wir die Stimme am Ende eines Satzes. In den Muttersprachen der Flüchtlinge ist das mitunter anders. Außerdem bekommen sie so auch die richtige Satzstellung mit.

 

Und das wird von den Kindern angenommen?

Gaul: Natürlich gehört schon Mut dazu, sich vor die Klasse zu stellen und es zu probieren — übrigens auch bei deutschen Kindern. Aber wenn sich ein Schüler traut, wollen immer mehr mitmachen. Dadurch gewinnen sie Selbstbewusstsein. Die Kinder freuen sich, sie sehen den Fortschritt und haben ein Erfolgserlebnis. Das Gute an der Musik ist, dass die Kinder schnell ein Ergebnis haben und dadurch motiviert sind, weiterzuarbeiten.

 

Für welche Altersgruppe ist das Projekt geeignet?

Gaul: Theoretisch können Kinder von sechs bis zwölf Jahren mitmachen. An unseren Partnerschulen gehen wir meistens in die Übergangsklassen der dritten und vierten Jahrgangsstufe.

 

Wie viele Schulstunden in der Woche beansprucht das Konzept?

Gaul: Musik ist an Grundschulen ja ein Unterrichtsprinzip und findet am besten in jeder Stunde statt. Nicht alle Lehrerinnen und Lehrer haben jedoch eine musikalische Ausbildung. Auch für sie möchten wir Ideen zusammenstellen, wie sie einfach Musik im Unterricht anwenden können.

 

Passt das noch in den Lehrplan?

Gaul: Abweichungen vom Lehrplan sind sowieso normal. Und wenn mitunter alle paar Tage neue Kinder in die Klasse kommen, müssen die Lehrer darauf flexibel reagieren. Das können sie mit „Spring“, etwa indem sie bei den Neuen die Anfängertexte nehmen. Für die Älteren ist das dann beim Zuhören eine Auffrischung.

 

Wie nachhaltig ist der Erfolg, sprechen die Kinder dann dauerhaft Deutsch?

Gaul: Bis dahin dauert es natürlich noch. Die Lehrer berichten uns, dass die Kinder nach einem Vierteljahr schon sicher sind. Und eine Klassenleiterin hat mir vor kurzem erzählt, dass einige Grundschulkinder schon mit ihren Eltern zu Behörden gehen, um zu übersetzen.

 

Wie weit ist das Projekt bereits fortgeschritten?

Gaul: Seit Anfang des Jahres sind meine Mitarbeiter und ich ehrenamtlich in Schulen in der Stadt und im Landkreis Regensburg unterwegs. Wir nutzen also unsere freie Zeit, um auszuprobieren, wie es funktioniert. Da steckt natürlich auch ein hoher organisatorischer Aufwand dahinter. Es gibt einen extrem hohen Bedarf an Fortbildungen. Wir wollen unser Konzept künftig auch in die Lehrerausbildung integrieren.

Was kann ein Lehrer tun, der nicht in Regensburg unterrichtet, aber Interesse an Ihrem Projekt hat?

Gaul: Wir wollen für die Schulen Material entwerfen, wir sind gerade im Vorbereitungsprozess. Die vielfältigen Nachfragen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum geben uns recht und zeigen, dass das Spring-Konzept der Universität Regensburg sich hervorragend in der Schulpraxis umsetzen lässt.

 

Das GEW-Forum „Willkommen? Bildung für junge Flüchtlinge!“ findet am Samstag, 17. Oktober, in der Pestalozzischule Fürth statt. Anmeldung ist erwünscht bis heute per E-Mail an die Adresse
veranstaltung-gew@gmx.de oder per Telefon (09 11) 6 58 90 10 (Anrufbeantworter).

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