Fürths respektlose Sinn-Zertrümmerer

28.10.2016, 13:00 Uhr
Fürths respektlose Sinn-Zertrümmerer

© F.: PR

Es kommt nicht eben oft vor, dass man selber in die Annalen eingeht. Doch diesmal darf der Schreiber dieser Zeilen mit Stolz behaupten, dass er dazugehört hat. Wenn auch nur kurz. Wenn die Dada-Truppe Chaotic Strings jetzt ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum begeht, dann erinnert man sich daran, wie man 1977 im Fürther Geismannsaal mit auf der Bühne stand — in der absurden Inszenierung eines himmelschreiend grotesken Gesamtkunstwerks.

Irgendwer war auf die Idee gekommen, mitten im Konzert der „Chaoten“ eine Trauung stattfinden zu lassen. Der nachmalige rührige Theatermacher und TKKG-Chef Markus Nondorf spielte die Braut, ich selber gab den schwer verknallten Bräutigam; ausgerechnet der stadtbekannte Verkäufer des revolutionären und atheistischen „Arbeiterkampfs“, Detlef Popp, verkörperte den Pfarrer.

Nach der Zeremonie sollten die Frischvermählten vor aller Augen sofort die Ehe vollziehen. Dazu stand ein prunkvolles Bett in der Bühnenmitte. Wir mussten mit Schwung in die erste Liebesnacht hechten — und landeten krachend mit dem ganzen Lager auf dem Boden. Im selben Moment ging wie von Geisterhand der Strom im Saal aus. Nicht geplant, aber effektvoll. Stockdunkel war es, das Publikum johlte.

Solch völlig hirnverbrannte Einlagen gehörten stets zum Überraschungsprogramm der 1976 in Fürth gegründeten Combo Chaotic Strings, die mit einem nie überraschen konnten: mit sinnvoller Langeweile. Verlässlich anarchisch sorgten sie von Anfang an und bis in ihr jetzt auch schon mittelhohes Alter für die feinsinnige Zertrümmerung bürgerlichen Bildungs-Schnickschnacks, für die expressive Demontage der gesellschaftlichen Sinn- und Hack-Unordnung, die atonale Wurzelbehandlung musikalischer Harmonie-Seligkeit unter Zuhilfenahme virtuos missbrauchter Instrumente und nicht zuletzt für die lautpoetische Attacke auf zeitgeistige sprachliche Geschmacksverirrungen.

Die Einzigartigkeit der Gruppe, deren heutige Mitglieder Wolfgang und Thomas Hirschmann, Klaus Hübner und Andreas Rose längst honorige Professoren (Musik) oder Doktoren (Sexualtherapie) sind, war ihre maßlose Respektlosigkeit. Das klingt jetzt zwar wie ein klassischer Doppelmoppel, trifft aber tatsächlich den Kern der Kunst, die auf den größten Blödsinn noch einen viel blöderen draufsetzte. Solcherart bestürmten und bedrängten die vier das, was man so als abendländischen Kultur-Kanon-Ballast herumschleppt, und die perfide perfekt musizierte — klassische Instrumente und quietschende Badeenten — und in sinnentleerte Wort- und Ton-Kapriolen gekleidete Entwertung mancher Ideale ließen die Freudentränen in Bächen fließen.

Wer aber würde es wagen, von einer Ironie der Geschichte zu reden, weil dieses Bühnenjubiläum just in dem Jahr gefeiert wird, in dem auch die Dada-Bewegung einen runden Geburtstag begeht? Als vor hundert Jahren in Zürich Hugo Ball auf der Bühne des Cabarets Voltaire „Jolifanto bambla ô falli bambla/grossiga m’pfa habla horem/égiga goramen . . .“ deklamierte und den Beginn des Dada-Zeitalters ausrief, ahnte noch niemand, dass 60 Jahre später so eine Art Wiedergeburt der klassischen Sinnzertrümmerung stattfinden würde.

Konsequent war das allemal. Denn die Welt in ihrer ernsthaften Gefährlichkeit und Beschränktheit hatte sich kaum verändert. Also musste man ihr auch in Fürth mit den alten Waffen begegnen, sie attackieren mit Spaß und sie aus den Angeln heben, auf dass sie fortan eiere. Was man da Dada nannte, war „ein Narrenschiff aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind“. Exakt aus diesem ergiebigen Nichts tauchten vor 40 Jahren die Chaotic Strings auf, und die allerhöchsten Fragen schleppten auch sie mit sich herum. Bisweilen fanden sie sogar eine Antwort: „Lieber groß und mächtig als klein und schmächtig.“

Zwei Jubiläumskonzerte der Chaotic Strings gibt es heute und morgen jeweils 20.30 Uhr im Nürnberger Kino Casablanca (Brosamerstraße 12).

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