Geburtstagsfete der Extraklasse

13.1.2014, 00:00 Uhr
Geburtstagsfete der Extraklasse

© Hans-Joachim Winckler, Martin Bartmann

„Die im Dunkeln sieht man nicht“, wusste schon Bert Brecht. Doch zum Jubiläum traten all jene ins Scheinwerferlicht, die im Hintergrund für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Sämtliche Techniker, Kartenverkäuferinnen, Organisatoren und Texteschreiber produzierten sich musikalisch auf der Bühne im Großen Saal.

Geburtstagsfete der Extraklasse

Für das Vorspiel sorgten allerdings die Mannen vom Uferpalast mittels Open-Air-Kino im Hof. Wo einst Rinder und Schweine ihr Leben ließen, zeigten sie den Film, mit dem Luis Buñuel und Salvador Dalí einst die heiligen Kühe des Bürgertums niedermetzelten: „Ein andalusischer Hund“.

Originelles Gebläse

Geburtstagsfete der Extraklasse

Der Klassiker von 1928 hat inzwischen sein Schockpotenzial eingebüßt und strapaziert mitunter das Zwerchfell, außerdem ist er mit den Jahren selbst so etwas wie eine heilige Kuh der Surrealisten und Subversiven geworden. Surreal an der ganzen Situation ist nur noch das Kinoerlebnis im Freien samt eigens komponierter Blasmusik auf Tuba, Posaune, Flöte und Obiphon. Letzteres, so klärt uns Komponist Ralf Bauer auf, ist ein umfunktioniertes PVC-Wasserrohr.

Leicht surreal geht es auch drinnen weiter, würzige Glühweindüfte wabern in der Eingangshalle. Ist schon wieder Weihnachten? Das zwar nicht, aber Kulturamtsleiterin Claudia Floritz als Moderatorin des Abends sorgt für eine schöne Bescherung nach der anderen. Lobeshymnen der Stadtoberen auf das Geleistete halten sich bewusst in Grenzen, auch Oberbürgermeister Thomas Jung fasst sich kurz und knackig. Dafür beweisen die Techniker am Schaltpult zu Beginn, welch schummerige Lichtstimmungen und klare Soundverhältnisse sie zaubern können — oder auch nicht, falls mal die Technik ausfällt, oder ein Amateur am Knopf dreht.

Mit dieser kleinen Machtdemonstration sollte jedem klar sein, an wessen Händen das Wohl und Wehe des Hauses (auch) hängt. Nämlich an all denjenigen, die still im Hintergrund arbeiten. Sie alle grüßten via Portraitaufnahme in Endlosschleife von der Großleinwand ins Publikum oder standen leibhaftig auf der Bühne, um zusammen mit den „Schicken Swingschnitten“ per Saxophon Big-Band-Jazz, Swing sowie alte und moderne Schlager zum Besten zu geben. So flirtete der Verwalter Lothar Schrems mit der Schnittensängerin Stephanie Hollaus auf Spanisch um die Wette und versprühte seinen Latinocharme gleich flakonweise; so shoutete der Tontechniker Michael Bliemel den Van-Halen-Heuler „Jump“ und tauschte der langjährige Gastronom Martin Reichel die Bratpfanne mit dem E-Bass, um das „Hard Rock Café“ aufzumöbeln. Die massiven Säulen in der Großen Halle stellen nach wie vor jeden Bühnenbauer vor Herausforderungen; doch wenn zu „Tiny Bubbles“ mit Ukulele tatsächlich buntschillernde Seifenblasen durch den Raum schweben, dann ist tatsächlich ein Zustand feierlicher Schwerelosigkeit erreicht. Kaum zu glauben, wenn man die Bilder von den Umbauarbeiten und dem vorigen Zustand noch einmal Revue passieren lässt. Glücklich, wer über solch engagierte Mitarbeiter verfügt!

Dass eine Ouvertüre die Oper in den Schatten stellt, kommt selten vor. Ein Kunststück, das drei Ausnahmemusikern am Samstagabend sauber hingekriegt haben. Sieben Wochen vor dem Internationalen Klezmerfestival zeigten die Sopranistin Tehila Nini Goldstein, der Pianist Jascha Nemtsov und der Mandolinenvirtuose Alon Sariel, dass jiddische Musik auch jenseits von populärer Unterhaltung fesseln kann. Zur Jubiläumsfeier haben sie Fürth einen Teil ihrer musikalischen Identität zurückgegeben.

Das war längst fällig: die Verbeugung vor dem jüdischen Komponisten Jakob Schönberg (1900-1956). Der Großneffe von Arnold Schönberg ist ein waschechtes Fürther Gewächs und hat zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Musikkultur seiner Heimatstadt bereichert. Außer als Pianist und Dirigent wirkte der in Erlangen promovierte Musikwissenschaftler als Musikkritiker der Nürnberger Zeitung. 1933 zog es ihn nach Berlin, das Künstlern seines Kalibers größere Entfaltungsmöglichkeiten bot — bis die Nazis alles zerschlugen. Schönberg floh 1939 nach London.

Sieben Jahre hat es nach seiner Wiederentdeckung durch Nemtsov, Barbara Ohm (Ex-Stadtheimatpflegerin) und Bernd Noack (FN-Spurensucher) gedauert, bis das längst fällige Revival in seiner Heimatstadt über die Bühne gehen konnte. Es war ein denkwürdiger Moment. Verstärkt durch den Umstand, dass die Akteure mit Esprit zur Sache gingen. Sie erdeten nicht nur ein wichtiges Musikkapitel, sondern stellten es auch noch in einen durchaus spannenden musikhistorischen Zusammenhang.

Seit mehreren Jahren schon tritt das Trio gemeinsam auf und hat sich inzwischen perfekt aufeinander eingespielt. Die Hommage an Jakob Schönberg und die jüdische Musik zwischen Tradition und Moderne ist jedoch speziell für den Abend im Kulturforum zusammengestellt worden. Es sind gerade die leisen Töne, die Raffinessen der Satztechnik und das filigrane Zusammenspiel, die der Musik zum Leben verhelfen. Sorgfältig abgewogen wird jede Nuance, nichts wirkt zu dick aufgetragen.

Starke Stimme

Nach einem Beinbruch noch auf die Krücke angewiesen, beeindruckt die israelische Sopranistin mit einem Modulationsreichtum ihrer warm timbrierten Stimme und einer Ausdrucksstärke, die an Miriam Makeba erinnert. Überragend selbstbewusst lässt der Mandolinist sein zart besaitetes Instrument zum ebenbürtigen Gefährten des mächtigen Flügels werden, den Nemtsov das schwerelose Fliegen und Flüstern lehrt.

Der Zauber dieser Musik liegt im Niemandsland zwischen den Tönen, nimmt Gestalt an im atemlosen Nachlauschen verklingender Schlusstöne, im jähen Abbruch finalen Jubels, im Vexierspiel betörender Harmonien. Jeder Ton dieser Weltmusik im besten Sinne wird ausgelebt, ist eine andere Art von Gefühl. Und das präsentiert der Schönbergforscher Nemtsov  obendrein mit einem Augenzwinkern. Beim Festival Anfang März wird er mit seinem Potsdamer Abraham Geiger Kantorenkolleg wieder auf der Bühne des Kulturforums stehen. VOLKER DITTMAR

Keine Kommentare