Geheimnis des Verschwindens

17.10.2013, 15:30 Uhr
Geheimnis des Verschwindens

© Ralf Rödel

Wandteppiche? Da denkt man an vergilbte Barockschloss-Gobelins mit neckischen Faunen. Der Althistoriker denkt an den Teppich von Bayeux, der auf knapp 70 Metern Länge die Eroberung Englands anno 1066 schildert. Auf jeden Fall schildern Wandteppiche wilde Abfolgen diverser Aktionen und unterscheiden sich nicht allzu sehr von der Malerei. Außer dass die Arbeit ungleich länger dauert.

Textilkünstler Hanns Herpich (79) hat mit realistischen Schilderungen nichts am Hut. Sein Thema lautet, wie Dinge sichtbar werden, eine Zeitlang wirken und dann wieder verschwinden. Wer wie Herpich die Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg geleitet hat, weiß, wie viele Talente ihren Weg gemacht haben — und wer sang- und klanglos wieder unterging.

Auftauchen und Verschwinden, das zeigt sich etwa in einer Arbeit, in der 16 zitronengelbe Kreise auf hellem Untergrund angeordnet sind. Die Farbe des Garns in den Kreisen wie ihrer Umgebung bleibt stets dieselbe, und doch ändert sich etwas: der Kontrast verringert sich von Kreis zu Kreis, bis die letzten Kreise fast ganz in ihrer Umgebung aufgehen.

Das Geheimnis des Verschwindens besteht in der mathematisch angewandten Webkunst. Ein Gewebe besteht aus dem dichten Verbund senkrechter Kett- und horizontaler Schussfäden. Sind Kett- und Schussfaden in zwei verschiedenen Farben gehalten, ergibt sich ein Mischton, der variiert, je nachdem, wie oft sich die Fäden kreuzen. So eine Verteilung erstreckt sich von einem Verhältnis von 50:50 bis zu 90:10 oder 10:90. Herpich demonstriert dies an der Arbeit „Kommen - Gehen" aus fünf quadratisch gerahmten Geweben, die frei im Raum hängen und von beiden Seiten zu betrachten sind. In einem großen, rein orangenen Feld befindet sich ein kleineres Magenta-Quadrat. In diesem Binnenfeld schillern je zweimal die Worte „Kommen" und „Gehen", sowohl richtig herum wie in Spiegelschrift. Das Wort „Kommen" leuchtet in reinem Orange, „Gehen" in tiefem Magenta. Die Rückseite hat die genau entgegengesetzte Farbanordnung.

Und doch hat man den Eindruck, dass sich die Farben der Worte verändern — eine Sinnestäuschung, und das ist Herpichs Kunstgriff: Nicht die Farben der Worte ändern sich, sondern die Farbzusammensetzung des Binnenfeldes. Dieses ist in Orange und Magenta gewebt, wobei der Durchschuss sich von Bild zu Bild verändert und der Schussfaden den Kettfaden zurückdrängt. Das Umfeld passt sich also dem einen Wort an und kontrastiert immer stärker mit dem anderen Begriff. Herpich: „Das ist, als ob Sie einen Bayern nach Hamburg versetzen. Der Mensch bleibt sich gleich, doch in einer anderen Umgebung wirkt er verändert. Ich mache nichts anderes als die Natur auch. Ich mache keine Bildchen, ich arbeite mit den Gestaltungsprinzipien des Lebens."

Was im Kleinen funktioniert, das führt Hanns Herpich auch im Großen vor: Zwei Bänder in Schwarz und Weiß durchkreuzen sich, beidseitig mit dem Begriff „Seitenwechsel" frontal und in Spiegelschrift bedruckt. Yin, Yang, hell, dunkel, Tag, Nacht... Die Bipolarität des Daseins macht Herpich sinn- und augenfällig. Vernissage: morgen, 19 Uhr. (Siehe „Fürther Kunststücke“)

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