Das Musical und das Massaker

Gelungene Premiere von "Mademoiselle Marie"

21.6.2015, 18:00 Uhr
Gelungene Premiere von

© Foto: Michael Müller

Das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren, ein grausames Massaker, Kriegsgefangenschaft, Aufbaujahre – „Mademoiselle Marie“ scheut die großen Aufhänger nicht. Bevor das Spiel begann, wich Landrat Matthias Dießl kurz vom üblichen Begrüßungsmodus ab und sprach aus, was manchem durch den Kopf ging: „Ein Musical drängt sich mir bei diesen Themen ja eigentlich nicht auf.“

Das ist richtig. Genauso wahr ist: Die Courage der Cadolzburger Burgfestspieler wird belohnt. „Mademoiselle Marie“ gelingt ein erstaunlicher Spagat: Das neue Werk von Fritz Stiegler (Buch und Liedtexte) und Matthias Lange (Musik) ist unterhaltsam und berührt. Die schwierigen Punkte werden mit dem angemessenen Gefühl für Aufrichtigkeit und Zurückhaltung behandelt. Deshalb trägt dieses Musical die Versöhnungs-Botschaft ohne Einschränkung und bleibt trotzdem beschwingt, auch, weil sich die Spielfreude des Riesenensembles überträgt und die ideenreiche Inszenierung Spaß macht.

 

Über 100 Akteure

Weit mehr als hundert Mitwirkende zwischen fünf und 82 Jahren treten auf. Bis auf wenige Ausnahmen keine Profis, sondern Laien, die seit Monaten Zeit, Energie – und manchmal auch Nerven – für die anstrengenden Proben opfern. Eine Anstrengung, die jetzt auf der Bühne überzeugend zu erkennen ist. Hinter den Kulissen engagieren sich weitere Unermüdliche von der Technik über die Nähstube bis hin zur Requisite. Sie alle sorgen dafür, dass dieses anspruchsvolle Mammutprojekt rund läuft. Was für eine Team-Leistung.

Kaum zu glauben, aber in Cadolzburg spielt sogar das Wetter mit. Nach einem komplett verregneten Tag verzogen sich die Wolken pünktlich für eine trockene Premiere. Fritz Stiegler, von Haus aus Landwirt, bekannte sich zu einem Dilemma: „Die Äcker brauchen das Wasser ja dringend, aber heut’ hab’ ich trotzdem gedacht, dann sollen’se halt noch a bissele warten . . .“

Von Stiegler kommt die einfühlsame Geschichte zum Musical und vieles davon, was er erzählt, beruht auf historischen Ereignissen und Erlebnissen. Da ist die junge Bäuerin Marie, deren Mann 1955 noch in russischer Kriegsgefangenschaft ist und lange nichts von sich hören ließ. Franz, ein ehemaliger Zwangsarbeiter aus Frankreich, unterstützt Marie auf dem Hof. Gemeinsam besuchen sie seine Heimat in der Nähe von Oradour, dem Schauplatz eines beispiellosen Verbrechens. Am 10. Juni 1944 löschten deutsche Soldaten das Dorf aus.

Es sind die Worte eines Überlebenden, des heute 89-jährigen Robert Hebras, die nun auf der Bühne gesprochen werden – eine Mahnung zur Verständigung. Ganz zurückhaltend inszeniert Jan Burdinski (Regie) diesen Moment und baut so die tragfähige Brücke, die diese Szene im Musical verankert. Sorgfältige Überlegung steckt spürbar hinter Burdinskis Personenführung und dem Einsatz der vielen stimmungsvollen Details. Wieder wird klar, wie intensiv die Proben gewesen sein müssen.

Am Premierenabend überzeugen Romina Satiro (Marie) und Manuel Unterburger (Franz) in den beiden Hauptrollen mit spielerischer Präsenz und Emotion. Beide meistern souverän die stimmlichen Herausforderungen. Klasse ist, was das große Tanzensemble beim fränkischen Roggn Roll zeigt (Choreographie Kathleen Bengs). Zum Charme dieser Inszenierung gehört neben dem fränkischen O-Ton Gonnersdorfer Prägung auch die wunderbar typgerechte Besetzung sämtlicher Rollen. Das geht zum Beispiel von Thomas Dröges spektakulärem Auftritt als russischer Offizier über Lea Webers anrührende Annelie oder Bernhard Pfisters hinterlistigen Jakob bis hin zu den Kindern und Jugendlichen.

Matthias Langes Musik bringt die vielen Facetten dieses Abends zusammen, ist opulent und akzentuiert die Stimmung punktgenau. Eingespielt wurden seine Kompositionen von der Thilo Wolf Big Band und von Nürnberger Symphonikern, gesungen wird live.

Was dieses Musical so besonders macht, wird vielleicht am besten deutlich, wenn das Leben im Dorf im Mittelpunkt steht. Diese Aufzüge sind authentisch, liebevoll und lebensnah gezeichnet. Das ist einmalig und zeigt unverfälscht, was diesen großen, theaterverrückten Verein ausmacht.

Und wer am Ende wirklich nicht verstanden hat, was das Geheimnis der dicken Domaadn ist – der besucht am besten gleich noch einmal die zauberhafte „Mademoiselle Marie“.

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