Geöffnet bis 21 Uhr: Kindergarten wehrt sich gegen Kritik

15.4.2017, 08:00 Uhr
Schritt für Schritt will der Kindergarten "Lindwürmchen" die Betreuungszeiten ausdehnen - bis 21 Uhr.

Schritt für Schritt will der Kindergarten "Lindwürmchen" die Betreuungszeiten ausdehnen - bis 21 Uhr.

Der Bund unterstützt das Projekt mit Fördermitteln in Höhe von 163.000 Euro. Doch unter Eltern ist es höchst umstritten: Schritt für Schritt will der Kindergarten "Lindwürmchen" seine Öffnungszeiten bis 21 Uhr ausdehnen. Wir sprachen mit Leiterin Rowena Praast, selbst Mutter dreier Jungs im Alter von 8 bis 16 Jahren.

Frau Praast, die Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Ihr Angebot. Manche tun es als "Schmarrn" ab und echauffieren sich pauschal über die egoistischen Eltern, andere begrüßen es und sprechen Ihnen Mut zu. Wie geht’s Ihnen gerade?

Praast: Nun, ich war darauf gefasst, dass es Gegenstimmen geben wird. Sie stimmen mich nachdenklich, aber ich stehe hinter unserem Angebot. Außerdem weiß ich, dass man sich mit Neuerungen immer auch der Kritik aussetzt. Das war schon so, als wir unsere Öffnungszeiten vor Jahren bis 17 Uhr ausgeweitet haben. Der Gegenwind war damals allerdings nicht so stark wie jetzt . . .

Aktuell empören sich viele Leute darüber, dass Eltern ihre Kinder womöglich von frühmorgens bis spätabends in den Kindergarten bringen. Aber das ist ja nun definitiv ein Schmarrn. Erklären Sie bitte einmal mehr, was genau Sie anbieten.

Praast: Also, die Idee ist natürlich nicht, dass Kinder um 7 Uhr zu uns gebracht und um 21 Uhr erst wieder abgeholt werden. Nein. Wir wollen es Eltern, die im Schichtdienst arbeiten oder in Dienstleistungsberufen, lediglich ermöglichen, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, indem wir ihren tatsächlichen Bedarf abdecken.

Das heißt konkret?

Praast: Eltern können in Kindergärten Betreuungszeiten buchen. Dabei gibt es eine so genannte Kernzeit von vier bis fünf Stunden, und zwar am Vormittag. In dieser Zeit müssen die Kinder da sein, weil dann die pädagogische Bildungsarbeit stattfindet. Wir ändern das ab, indem wir eine zweite Kernzeit am Nachmittag einführen. So kann die Familie am Vormittag zusammen sein.

Wann werden die "Abendkinder" dann also gebracht?

Rowena Praast leitet den Awo-Kindergarten "Lindwürmchen" und ist selbst Mutter dreier Jungs im Alter von 8 bis 16 Jahren.

Rowena Praast leitet den Awo-Kindergarten "Lindwürmchen" und ist selbst Mutter dreier Jungs im Alter von 8 bis 16 Jahren.

Praast: Nun, vielleicht von 12 bis 18 Uhr oder von 13 bis 19 Uhr oder auch von 13 bis 21 Uhr – je nach dem, wie der Dienstplan der Eltern es erfordert. Das heißt auch nicht, dass diese Kinder täglich nachmittags/abends in den Kindergarten kommen müssen. Arbeiten die Eltern vormittags, ist auch das Kind am Vormittag bei uns. Es soll ein flexibles Angebot sein. Wir dachten übrigens zuerst an eine Öffnungszeit bis 20 Uhr, aber das nutzt einer alleinerziehenden Verkäuferin nix, denn bis dahin muss sie ja noch im Laden stehen.

Haben Sie schon Anmeldungen?

Praast: Wir haben einige Vormerkungen von Familien, die die längeren Öffnungszeiten interessant finden. Und es gibt eine Familie, die bereits bis 18 Uhr gebucht hat. Da ist die Mama selbstständig in einem Dienstleistungsberuf und der Papa arbeitet im Schichtdienst. Alle drei Wochen hat er Spätschicht und muss schon zum Job, wenn die Mama noch im Laden steht. So oder ähnlich geht es vielen Eltern, denken Sie auch nur mal an all die Klinikumsmitarbeiter, Medienleute, Sanitäter, Arzthelferinnen, Physiotherapeuten, Polizeibeamte, Versicherungsvertreter ... Die Gesellschaft hat sich gewandelt, wir reagieren darauf. Die Kritiker nehmen wahrscheinlich gerne die Dienste dieser Berufsgruppen in Anspruch, ohne über deren Situation nachzudenken.

Wie wäre das nun am Abend? Würden die Kinder dann im Kindergarten einschlafen? Und müssten zur Abholzeit geweckt werden?

Praast: So weit sind wir mit den Planungen noch nicht, dass ich das schon konkret sagen könnte. Wir stellen uns vor, dass wir zusammen Abendbrot essen und mit den Kindern in der Kuschelecke ein Buch anschauen oder ein Puzzle spielen, damit sie ruhiger werden. Aber natürlich ist auch denkbar, dass wir ein müdes Kind ins Bett legen. Es gibt ja Mittagsschläfer bei uns, wir haben also Betten.

Und Mama oder Papa kommt dann und trägt den schlafenden Sprössling vom Bett ins Auto und wieder ins Bett?

Praast: Vielleicht ja. Natürlich ist das keine ideale Abholsituation, aber es ist wenigstens ein Angebot. Wenn Familien Freunde besuchen und es abends später wird, kommt so was auch vor.

Kritiker befürchten, dass Kindern so viel Unregelmäßigkeit schaden könnte . . .

Praast: Ich bin kein Hellseher. Ich weiß nicht, ob das schadet. Ich denke, es schadet eher, wenn Kinder mit dem Handy ruhiggestellt werden, weil niemand Zeit hat, sich mit ihnen zu beschäftigen. Ein Kindergarten ist eine so genannte familienergänzende Einrichtung. Ich finde deshalb, wir sind dazu da, Eltern alltagstaugliche Kompromisslösungen anzubieten. Und es ist doch besser, wenn Kinder am Abend im Kindergarten als ihrem gewohnten Ort bleiben, als wenn sie zusätzlich noch in die Obhut Dritter gegeben werden müssen, nur weil noch Zeit überbrückt werden muss, bis die Eltern Feierabend haben.

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