Geschmacksknospenexplosionsgarantie

22.1.2013, 09:12 Uhr
Geschmacksknospenexplosionsgarantie

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Sie war eine der Frauen, die immer auf Nummer Sicher gehen. Pilates statt Skifahren, ein Cityrad statt Mountainbike. Ihr Lebensmotto könnte man mit dem Satz beschreiben, „lieber fünf Minuten lang feige, als ein Leben lang tot“. Und beim Essen war sie natürlich keine Spur mutiger. Zum Frühstück stets Brötchen mit Marmelade, ungesüßter Kräutertee und falls sie doch einmal der Hafer stach, ließ sie es mit einem Fruchtjoghurt so richtig krachen.

Kein Wunder also, dass sie beim Anblick der Einladung in ihrer Hand das kalte Grauen überkam. Ihre Freundin Simone, ihres Zeichens Reisekauffrau in einem Abenteuerreisebüros, lud zu einem „Dinner im kleinen Kreis, mit Geschmacksknospenexplosionsgarantie“. Die Kombination von Geschmacksknospen gepaart mit einer Explosion, die auch noch garantiert werden würde, löste bei Elfie Schüttelkrämpfe aus.

Seit sie den Brief geöffnet hatte, zitterte ihre rechte Hand. Ihre Geschmacksknospen, falls sie so etwas überhaupt besäße, waren noch nie gereizt worden, geschweige denn explodiert. Warum hasste ihre beste Freundin sie nur so?. Und auch noch im kleinen Kreis, da würde es ganz sicher auffallen, wenn sie das Essen früher verlassen würde. Eine Absage kam auch nicht in Frage, dazu war Elfie viel zu freundlich. Und so sehr sie sich gewünscht hatte, eine Katastrophe würde das Dinner verhindern, so wenig hatte es genutzt. Heute war der verfluchte Tag. Pflichtbewusst wie sie war, hatte sie zwei nette Gastgeschenke gekauft, die klassische Flasche Wein für den Herren und Blumen für die Dame.

So stand sie Punkt 18 Uhr vor dem Haus ihrer besten Freundin und wunderte sich, dass kein Licht durch die Jalousien drang. Ganz kurz keimte die Hoffnung in ihr auf, die Gastgeber wären verhindert, als die Haustür mit einem Ruck geöffnet wurde. Da stand er, der Traum ihrer einsamen Nächte. Simones schnuckeliger Kollege. Sie konnte ihm nur noch ihre Mitbringsel entgegenstrecken und ein raues, „Hallo, äh, ich bin Elfie“ stammeln. Auch das noch, der Abend würde ein Fiasko werden. Geschmacksknospenexplosion und Achim, der ihr dabei zusehen würde.

Simone kam ihr aus der Küche entgegen, deshalb also kein Licht im Wohnzimmer, das Gemetzel würde in der Küche stattfinden. „Hallo Elfie“ begrüßte sie sie, „ich bin total glücklich, dass du gekommen bist. Achim hast du ja schon getroffen“. Sie zwinkerte Elfie kurz zu und führte sie an den, ja an was denn? Man konnte die Decke auf dem Boden, mit den dicken Kissen drum herum ja kaum als Esstisch bezeichnen. „Ein Picknick“, entfuhr es ihr, „ach wie toll. So richtig englisch? Mit Sandwiches und Tee?“ Wieder keimte Hoffnung in ihr auf, an englischem Essen war nichts Explodierendes. Kaum Würze und keine Überraschungen.

„Dummerchen“, erwiderte ihre Freundin, „wir essen heute afrikanisch. Achim hat auf einer seiner Reisen gelernt, wie die Einheimischen zu kochen, und er hat die Rezepte mitgebracht.“ Simone zertrat ihr kleines Fünkchen Hoffnung vehement, nur um noch darauf herum zu trampeln. „Und Besteck brauchen wir auch nicht. Ist das nicht super?“. Ja, super, dass Elfie zu freundlich war um im Vorfeld abzusagen und super, dass sie es auch jetzt nicht über sich bringen würde, das Essen abzulehnen.

Nachdem sich alle vier auf die Kissen gesetzt hatten, versuchte Elfie freundlich zu lächeln. Achim verteilte derweil bunte Klumpen auf vier Blätter und reichte jedem eines davon. Das Fladenbrot hatte er bereits zerteilt. „Los geht’s“, begann er, „man isst das Mus mit dem Brot. Schaut mal, wie ich das mache.“ Geschickt nahm er einen Teil des roten Haufens mit dem Brotstück auf und steckte es sich in den Mund.

Elfies rechte Hand zitterte schon wieder. Rot, dachte sie sich, sieht doch ganz unverfänglich aus. Sie roch erst unauffällig an dem Mus, wunderte sich kurz über die warme Brise in ihrem Nacken und steckte sich dann das Brot in den Mund. Die Explosionsgarantie versagte nicht. Sie hatte das Gefühl in der afrikanischen Steppe zu stehen. Die warme Brise von eben war jetzt ein heißer Windstoß, der ihr durch die Haare fuhr. Sie hörte Elefanten in der Ferne brüllen und hätte schwören können, dass ein Affe an ihrem Rock zupfte.

„Alles okay?“ Simone klang besorgt. „Ja, ich, ähm, ja, alles okay. Und bei euch?“ Jetzt stammelte Elfie schon wieder. Aber inzwischen war ihr das egal. „Es schmeckt dir?“ erkundigte sich Achim lächelnd. „Ja. Nicht schlecht“, antwortete Elfie. Der Geschmack war gut, aber warum sie plötzlich in Afrika gewesen war, verstand sie nicht. Wahrscheinlich meine Nerven, dachte sie sich, zu viel Angst vor dem heutigen Abend. Die anderen Drei aßen weiter.

Elfie nahm ihren ganzen Mut zusammen und wagte sich an das grüne Mus. Wieder roch sie erst daran, ein kühler Hauch kitzelte ihre Stirn. Augen zu und durch. Als sie die Augen öffnete, stand sie an einer Klippe über dem Meer. Beim Kauen hörte sie Möwengeschrei und das Tosen des Wassers. Mit dem Schlucken endete auch dieser Tagtraum abrupt. „Gut, mir geht es gut“, erwiderte sie den fragenden Gesichtern.

Das gelbe Mus führte sie auf eine Wiese mit Bienenschwärmen und Kolibris. Das graue mitten in ein Löwenrudel. Sie schaffte es mittlerweile, sich mit der restlichen Gesellschaft zwischen zwei Bissen zu unterhalten. Die Wirkung der Speisen hielt aber während des Kauens unverändert an. Am Ende dieses wundervollen Abends, wie sie ihrer Freundin mehrmals beim Abschied versicherte, packte Elfie sich die Reste in kleine Plastikbehälter und erlaubte es Achim, sie nach Hause zu bringen. Nach einer innigen Umarmung und dem Versprechen, sie morgen anzurufen, schlenderte Achim davon.

Elfie setzte sich in ihrem schicken Wohnzimmer auf den Boden, öffnete die Behälter und tunkte voll Vorfreude in das erste Mus. Geschmacksknospenexplosionsgarantie, war das nicht ein wundervolles Wort, dachte sie und fing an zu kauen. 



 

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