Geschundene Pracht: Das Fürther "Hotel National"

3.1.2013, 19:00 Uhr
Geschundene Pracht: Das Fürther

© Hans-Joachim Winckler

„Hiermit ergeht herzlichste Einladung zum Festakt anläßlich der Einweihung des Fürther Stadttheaters am 17. September 1902. Nach dem Gala-Diner, das um 16 Uhr im großen Saal des ,Hotels National‘ serviert wird, bitten wir die geladenen Gäste, sich im neuen Theatergebäude an der Königstraße einzufinden, wo am Abend die Vorstellung von Ludwig van Beethovens Oper ,Fidelio‘ angesetzt ist. Um Abendgarderobe wird gebeten. Gezeichnet: Die Direktion.“

„Hotel National“, kurz nach 16 Uhr an jenem Tag im September, zwei Jahre nach der Jahrhundertwende: Unzählige Kellner schwirren um Damen in Ballkleidern und Herren im Frack. Champagner-Gläser klingen, Porzellan klappert, Salonmusik untermalt die Unterhaltungen. Und auf der Menükarte steht eine schier endlose Folge der erlesensten Genüsse: Russische Vorspeise, Krebssuppe, Lachsforelle mit Butter und Kartoffeln, Ochsenlende á la Provençale, Vol-au-vent á la Toulouse, Rehrücken mit Salat und Compote, Gefrorenes á la Nesselrode mit Hohlhippen, Käse, Butter und Pumpernickel...

Der sicher notwendige Verdauungsspaziergang danach vom Hotel in der Wein-/Ecke Friedrichstraße zum Ereignis des Abends, ja des gerade erst begonnenen Jahrhunderts, ist allerdings nur denkbar kurz in der kleinen Stadt: Das neue Theater liegt gleich um die Ecke, ein paar Schritte entfernt. Und mit den Klängen der Ouvertüre hebt sich dann dort im vollbesetzten Haus erstmals ganz offiziell der eiserne Vorhang.

Die geladenen Honoratioren, ehrwürdigen Bürger und hofierten Geldgeber sitzen mit wohl gefüllten Bäuchen im Parkett und in den Logen, verdauen, lassen sich die Musik um die Ohren wehen und hängen mit den Augen wohl weniger am Bühnengeschehen als staunend an der üppigen Pracht und den goldfunkelnden Details des stuckverzierten Saals. Und wer im Inneren saß, im perfekt imitierten Pariser oder Wiener Ambiente, der konnte leicht vergessen, dass vor den Theatertüren eher kleinstädtisches und sehr profanes Leben dampfte, stampfte und rußte. Gleich nebenan war eine Brauerei.

Das „Hotel National“ (wie das „Park-Hotel“ früher hieß) passte zu dieser feudalen und vielleicht doch ein wenig dick aufgetragenen Nobel-Atmosphäre, die man sich um 1900 auch nach Fürth holte. Es passte zu den mächtigen Gründerzeit-Häusern in der Hornschuchpromenade und Königswarterstraße und jetzt eben auch zu dem verspielt-protzigen Theaterbau der beiden Wiener Architekten Fellner und Helmer, die dem aufstrebenden Bürgertum Fürths die perfekte Schatulle für seine kulturellen Illusionen lieferte.

Schaut man sich heute alte Bilder des Hotels an, dann sieht man ein repräsentatives Gebäude, das durchaus auch in der Kärntner Straße oder am Boulevard Haussmann hätte stehen können (und dort an der Donau oder Seine wohl auch noch stehen würde!). Dieses Hotel war das erste Haus am Platze, wie man selbstbewusst warb. 1888 erbaut, dominierte es das Stadtbild nicht allein wegen des charakteristischen Eckturms.

Wer aus dem seinerzeit noch bestehenden Ludwigsbahnhof auf der heutigen Freiheit trat, sah vor sich gepflegte Grünanlagen und gleich links unwillkürlich „das National“, das sich einladend und unübersehbar ins Bild schob. Erker und Balkone, verzierte Vorsprünge und verschwenderische Fassaden-Dekorationen prägten den Sandsteinbau, aufgelockert von Markisen im ersten Stock und über dem Gastgarten, der sich auf dem Bürgersteig der Friedrichstraße befand. Durch große Rundbogenfenster im Parterre konnte man in die Räume der Restauration und eines Cafés blicken.

Stattlich wie das Objekt waren auch die Baukosten: 825.000 Mark. Doch schon 1913 musste das Hotel wieder versteigert werden; für über 400.000 Mark ging es in den Besitz eines Nürnbergers über, der es umbauen ließ und auch gleich umbenannte: „Park-Hotel“ hieß nun die repräsentativste Logis in Fürth, in der sich Fremde einquartieren konnten.

Der wichtigste Reiseführer dieser Zeit, der rote „Baedeker“, nennt das „Hotel National“ stets als prominenteste Adresse. In der Ausgabe von 1909 („Süd-Deutschland“) wird es mit 40 Zimmern zu zwei bis drei Mark geführt, Frühstück kostete eine Mark. Die „Nordbayern“-Ausgabe von 1924 gibt für das „Park-Hotel“ (nicht mehr in der Wein-, sondern schon in der Hindenburgstraße) nurmehr 24 Zimmer zu „2½ – 5“ Mark an, ein Mittagsmahl gab es für „ 2½“ Mark.

Apropos „Baedeker“ – die kleine Abschweifung sei erlaubt: Fürth streifte der legendäre Führer zu Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich am Rande, als „Ausflugsziel“ für Nürnberg-Touristen. Wer dennoch länger bleiben wollte, dem gab Karl Baedeker knappe Hotel- und Gaststätten-Informationen. Neben dem „National“ erwähnte er 1909 noch das „Hotel Kütt“ in der Friedrichstraße; 15 Jahre später führt er das „Schwarze Kreuz“ an und nennt den Komfort dort „bescheiden“; zur Stärkung empfiehlt er das „Café Corso“ in der Moststraße, das „Geismann-Bräustübl“, das „Restaurant Langmann“, das „Weinrestaur. Duckla“ und „Gebackene Karpfen in der Fischküche Heller, Alexanderstr. 25“. (Die vielen anderen Wirtshäuser und Kneipen blieben unbeachtet. Wie Adolf Schwammberger in seinem Geschichtslexikon auflistet, gab es jedoch etwa 1905 in der Stadt 14 Cafés und 397 Bierwirtschaften; aber tatsächlich nur zwei Hotels.)

Kinos und Hamburger

Doch zurück zum „Hotel National“ bzw. „Park-Hotel“. 1945 wird es von einer Fliegerbombe getroffen und brennt herunter bis zum zweiten Stockwerk. Daraufhin kamen Umbauten, Aufstockungen und sowohl außen wie auch im Inneren bauliche Veränderungen, die dazu führten, dass der denkmalschützerische Wert des Hauses Stück für Stück und irgendwie unbemerkt von der Öffentlichkeit sank: „...ist durch Modernisierung und Aufstockung (1953 – 1955) so stark verändert worden, daß nur noch das Rückgebäude mit ehem. Festsaal im 1. Stock Denkmaleigenschaft besitzt“, heißt es schon in den 50er Jahren. Ungeachtet dessen blieb das Haus Fürths erste Adresse, mit 50 Zimmern und einem Restaurant im ersten Stock, der architektonisch noch etwas vom alten Flair bewahren konnte.

Vorbei aber waren die Glanzzeiten, in denen ein König Ludwig (der II.) hier logierte oder die kurze Räterepublik tagte oder (sechs Jahre vor Hitler und den beginnenden Verfolgungen) der Verband der Israelitischen Gemeinden in Bayern oder dann hier gastierende Schauspieler, die ihre signierten Fotos an der Bar abgaben.

Irgendwann zogen mitten im Wirtschaftswunder Kinos ins Untergeschoss des Hauses, das längst seine äußere Sandsteinpracht unter schnödem Putz versteckte und nur ein Stückchen alter Fassade wie ein schüchternes Alibi und wie angeklebt behielt. Über die Nachkriegsjahrzehnte hinweg scherte man sich nicht um das verlorene An- und Aussehen. Und als das Kino-Sterben begann, zog bezeichnenderweise eine Hamburger-Kette ein. Nun gab es Pommes und Hackfleisch, wo man hundert Jahre zuvor „Ochsenlende á la Provençale“, oder „Vol-au-vent á la Toulouse“ speiste...

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