Grüß Gott

13.12.2011, 10:00 Uhr
Grüß Gott

© Scherer

Als Matthias Kröner, Kolumnist des „Straßenkreuzers“ und mit sieben Literaturpreisen ausgezeichnet, nach Lübeck zog, war das eine bewusste Entscheidung. Er wollte in der Nähe des Meeres leben. Was er dabei nicht bedacht hat: Die Sprache im Norden funktioniert anders. Zwar sind die Norddeutschen genauso herzlich (und bärbeißig) wie die Franken. Was beide Menschenschläge jedoch jäh unterscheidet: die Begrüßungsfloskel beim Bäcker. Seine Ankunft in der Minimetropole an der Ostsee war gleichzeitig eine Rückkehr zu seinen Wurzeln.

Ich bin kein Lübecker. In der Bäckerei meines Vertrauens sage ich „Grüß Gott“. Das macht man in Franken so. Wenn man nach Lübeck zieht, macht man das auch noch so. Es sitzt in einem drin wie ein Springteufel. Die Bäckersfrau blickt mich entgeistert an. Ich hätte auch „Dies ist ein Überfall!“ oder „Geben Sie mir alle Mohnschnitten, die Sie haben!“ sagen können. Der Gesichtsausdruck wäre derselbe geblieben. Also bestelle ich: fünf Brötchen, zehn Brötchen. Ich bestelle mehr, als ich essen kann. Meine Identität ist in Gefahr.

Mit 15 Brötchen verlasse ich den Laden. Meine Frau ärgert sich: „Hast du schon wieder ‚Grüß Gott‘ gesagt?! Super, dann kannst du jetzt zwanzig Jahre lang Fleisch panieren. Wäre es möglich, dass du vielleicht einfach nichts sagst?“

Ich bin kein Idiot. Doch dort, wo ich herkomme, sagt man „Grüß Gott“, wenn man einen Laden betritt. Auch Kinder machen das. Selbst Pfarrer unterschiedlicher Konfessionen. Und Atheisten. Gäbe es in Nürnberg einen Obermufti, würde er, beträte er einen Laden, zur Begrüßung „Grüß Gott“ sagen. Ein „Grüß Gott“ wird erwidert. Zugereiste wissen, dass man dort, wo ich herkomme, noch in zweitausend Jahren „Grüß Gott“ sagen wird. Das Leben wird schneller. Wir sperren uns in Büros und kommunizieren, ohne etwas zu sagen zu haben. Doch die Identität, die bleibt. Die „Grüß Gott“-Identität der Franken.

Zweiter Tag: Traumversunken schlendere ich zur Bäckerei. Ich betrete den Laden, rieche den angenehmen Geruch der Mohnschnitten – und sage: „Grüß Gott“. Ich kann nichts dafür. Wir leben erst eine Woche hier. Die Bäckersfrau schaut mich an, als hätte sie einen Geist gesehen. Einen Geist, der jeden Morgen um 7.30 Uhr reinschneit. Diesmal kontert sie: „Wenn ich IHN sehe, sage ich IHM, dass Sie IHN grüßen lassen.“

Ich bestelle Mohnschnitten. Zehn Mohnschnitten. 15 Mohnschnitten. Und einen Käsekuchen. „Jetzt bist du wahnsinnig“, reagiert meine Frau gelassen. „Ich glaub, der Norden tut dir nicht gut!“ Ich blicke verzweifelt in ihre Richtung. „Aber wir wollen doch eh alle Nachbarn einladen...“ Kurz überlege ich, was passieren wird, wenn die Nachbarn in unsere Wohnung kommen. Hoffentlich sage ich dann nicht „Grüß Gott“.

Wenn ich das erste Mal „Moin“ sage, kurz und knackig, ohne langgezogenem O..., wenn ich wie nebenher „Moin“ sage, beim Betreten der Bäckerei, nicht „Moin-Moin“ (das sagen nur die Urlauber), ist es, als würde ich, in einer anderen Sprache denken.

Bin ich dann – angekommen?
 

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