Hairspray: Mit einem Extrasprühstoß Spaß

30.12.2017, 17:02 Uhr
Hairspray: Mit einem Extrasprühstoß Spaß

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Respekt, diese Show entwickelt vom ersten Moment an einen unwiderstehlichen Sog. Ein angeknipstes Ensemble ist auf der Stelle präsent und reißt mit. Doch vor allem ist da dieser Ohrwurm-Sound. Wie von selbst nimmt die Geschichte an Fahrt auf und bleibt so leichtfüßig, als sei tatsächlich bloß ein flüchtiger Sprühstoß Spaß nötig, um einen Musical-Knüller zu produzieren.

Die Geschichte ist märchenhaft schön: Ein Mädchen ohne Modelmaße will ins Fernsehen kommen. Casting-Shows waren in den Sechzigern noch nicht erfunden, trotzdem erreicht diese Tracy Turnblad (Beatrice Reece) tanzend und singend ihr Ziel. Und nutzt ihre frische Berühmtheit, um gegen die allgegenwärtige Rassendiskriminierung im Amerika jener Tage zu protestieren. So weit, so wunderbar.

Erstaunlicherweise flutscht die sagenhafte Story ohne große Erregung über die Bühne. Kein Zweifel erwacht, dass irgendwie schon alles gut wird. Bis zum funkelnden Happy End stört keine Unsicherheit die gläubige Hoffnung, dass in Amerika alles möglich ist, weil alle Menschen Brüder und Schwestern sind. Bloß ein einziges Mal wird dieses wonnige Konzept für die Länge eines Halbsatzes torpediert. Eine Andeutung bloß, die Tracy anklingen lässt und in der unausgesprochen das vergangene Trump-Jahr mitzuschwingen scheint, erzeugt spontan eine Reaktion im Zuschauerraum, die vom Parkett bis in den zweiten Rang geht.

Plädoyer für Toleranz

Seinen ersten Auftritt feierte der Stoff 1988, damals drehte John Waters "Hairspray" fürs Kino. Der US-Regisseur, der sich zuvor einen veritablen Ruf als Trash-Künstler mit Neigung zu Schockern erworben hatte, überraschte seine Fans mit einem cineastischen Plädoyer für Toleranz. Die Geschichte blieb auf Erfolgskurs: ab 2002 als Musical mit der Musik von Marc Shaiman am Broadway und 2007 als weitere Film-Version mit John Travolta in der Rolle von Tracy Turnblads Mutter Edna.

Ganz gleich, in welcher Produktion, einer Idee von John Waters blieben alle treu: Völlig fraglos wird Edna Turnblad stets von einem Mann gespielt. Warum? Keine Ahnung. Es gibt ganz einfach keine Erklärung, noch weniger wird die Travestie thematisiert. Die Perücke bleibt, wo sie hingehört, und der Schauspieler und Sänger Andrea Matthias Pagani ist in Fürth eine wunderbare Lady. Überhaupt ist das komplette Ensemble mit auffallender Lust und Leidenschaft bei der Sache.

Zicken-Barbies

Beatrice Reece als Tracy bringt den paradoxen Mix aus Naivität und heldenhaftem Einsatz für die wahren Ideale absolut einleuchtend in ihrer Rolle unter und macht als Teenager eine glaubhafte Figur. Als dringend benötigte Antiheldinnen spielen Nicole Rössler (Velma von Tussle) und Maja Sikora (Amber von Tussle) die Zicken-Barbies – ein Segen zwischen so viel überschäumender Nettigkeit.

Stimmlich ragt Monica Lewis-Schmidt als Motormouth Maybelle aus dem ohnehin prima aufgelegten Ensemble heraus. Katja Wolffs minutiös durchgetaktete Inszenierung setzt auf Tempo, wie Puzzlestückchen setzen sich die Szenen reibungslos zum großen Ganzen zusammen. Vorangetrieben wird das Vergnügen aus dem Graben, wo Heiko Lippmann und die Big Band des Bulgarischen Nationalen Rundfunks im Einsatz sind.

Beim großen Finale dieses unfassbar gut gelaunten Musicals ist es dann plötzlich mit Händen greifbar, dieses großartige Gefühl, von dem wir heute glauben: So waren die Sechziger. Zumindest in jenen ganz frühen Jahren, als Kennedy noch regierte und Martin Luther King die Gewissen berührte. Und zu gerne würde man wieder glauben, dass alles machbar ist, wenn wir nur wollen, und die Zukunft wie ein Marshmallow sein wird, süß und federleicht.

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