Hass und Intoleranz zerstören alle Menschen

5.4.2014, 13:00 Uhr
Hass und Intoleranz zerstören alle Menschen

© Rempe

Rund zehntausend jüdische Kinder mussten zwischen Dezember 1938 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 ihre Familien verlassen. Sie wurden in England aufgenommen. Es war eine Rettungsaktion, die tiefe Wunden hinterließ – kaum einer der jungen Flüchtlinge sah seine Eltern wieder.

„Als wir im Unterricht zum ersten Mal davon gehört haben, war das ein richtiger Schock“, erinnert sich Victoria Ochs (15). „Tanzila, sie ist meine Banknachbarin, und ich mussten weinen.“ Diese Geschichtsstunde bei Rektor Udo Sponsel blieb allen aus der 9g in Erinnerung. „Wie unglaublich schwer muss es für die Kinder und Jugendlichen gewesen sein, alles hinter sich zu lassen und in ein fremdes Land zu fahren, dessen Sprache sie nicht konnten?“, überlegt Lars Körber (14). Damaris Heller (16) weiß, dass die jungen Flüchtlinge kaum etwas mitnehmen durften. „Geld oder Wertsachen waren verboten, erlaubt war höchstens ein kleines Erinnerungsstück an die Eltern.“

Was sie in der Schule gehört hatten, ließ die Schüler nicht los. „Herr Sponsel hat uns Bücher geliehen, damit wir mehr erfahren konnten“, sagt Tanzila Nazir. Die 15-Jährige verrät: „Die waren auf Englisch, aber ich habe es geschafft, alles zu lesen.“ Gemeinsam beschlossen die Jugendlichen, Fakten für eine Ausstellung zu sammeln. Auf 16 Tafeln kann man nun wesentliche und berührende Informationen zu den Kindertransporten nachlesen.

„Wir haben bei unseren Nachforschungen zum Beispiel Bewerbungen gefunden, die damals von Eltern für ihre Kinder geschrieben wurden, in der Hoffnung, dass so in England nette Leute aufmerksam werden“, erklärt Lars. Sarah Vogel (15) stieß im Internet auf die Homepage einer Frau, die am 18. Mai 1939 mit einem solchen Kindertransport nach England gekommen war: Hedy Epstein. „Ich habe ihr eine Mail geschickt und von unserem Projekt erzählt“, sagt Sarah. Die Antwort der 89-Jährigen, die heute in

St. Louis im amerikanischen Bundesstaat Missouri lebt, ließ nicht auf sich warten. Genauso wenig wie ihre Zusage, die Mittelschule zu besuchen.

„Wir sind ihr schon vorher so nahe gekommen, weil wir uns mit ihrer Geschichte beschäftigt haben“, berichtet Lars, „aber als sie dann kam, das war ganz toll. Sie hat jedem von uns die Hand gegeben und Sarah sofort umarmt.“ Hedy Epstein und ihr Vortrag machten einen tiefen Eindruck. „Sie hat eine Dreiviertelstunde am Pult gestanden und gesprochen, ihre Energie ist allein schon großartig.“

Liebevoll nennen die Jugendlichen die Referentin „die Hedy“. Aufmerksam folgten sie ihrem Bericht. „Sie hat zum Beispiel davon erzählt, dass sie damals in England oft großen Hunger hatte.“ Gerade einmal fünf Scheiben Brot habe es für sie pro Tag gegeben. Als sie sich einem Helfer anvertraute, durfte sie in eine andere Familie wechseln und fortan gab es genug zu essen. Ihre eigene Familie sah Hedy Epstein nie wieder, alle wurden von den NS-Schergen ermordet.

Zu den vielen Aspekten dieses Besuchs gehörte für die Schüler auch die Sprach-Erfahrung, die die Frau machte, die 1924 geboren wurde. „Sie meint, dass sie heute noch Englisch lernt und eine ganz Reihe von deutschen Wörtern vergessen hat.“ Obwohl Hedy Epstein nach wie vor ihre Muttersprache beherrscht, gibt es neue Wendungen, die ihr unbekannt sind: „Sie wusste nicht, was ,sauer sein‘ bedeutet.“ Kleinigkeiten, die rasch übersetzt wurden.

Was für die Schüler jetzt zählt, ist ein Auftrag von Hedy Epstein. „Sie hat uns gesagt, dass Hass alle Menschen zerstört – nicht nur die Opfer. Deshalb darf man nicht wegschauen und schweigen, sondern muss etwas sagen zu Intoleranz und Ausgrenzung“, macht Keanu Ochs (15) klar. Die Jugendlichen nehmen die Aufforderung ernst. „Auch deshalb hoffen wir, dass viele sich unsere Ausstellung ansehen.“ Kontakte mit anderen Schulen gibt es bereits, wer Interesse hat, die Tafeln in den eigenen Räumen zu zeigen, kann sich bei Rektor Sponsel melden. Bis 11. April ist die Schau in der Eingangshalle der Mittelschule in Veitsbronn, Siegelsdorfer Straße 24, an Schultagen von 8.30 Uhr bis 15 Uhr zu sehen. Mit Hedy Epstein wollen die engagierten Mädchen und Jungen weiter in Kontakt bleiben. Sarah freut sich: „Sie hat gesagt, dass ich ihr wieder schreiben soll.“

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