Heilsame Kunst

9.4.2014, 17:30 Uhr
Heilsame Kunst

© Hans-Joachim Winckler

„Gesunde Kunst“ verspricht die A.Theke im Schaufenster, und da klingeln schon die Alarmglocken. Gesunde Kunst ist langweilig. Echte Kunst balanciert am Rande des Erlaubten, provoziert, verstört. Ist gesunde Kunst also konforme Kunst? Oder handelt es sich dabei nur um eine nette kleine Provokation?

Die Regale der Jahrhundertwende sind noch da, tiefbraun und gesättigt von 120 Jahren Gallenkolik und Blasenkatarrh. Darin platziert: diverse Zeichnungen und Fundstücke der Künstlerin Eva von Platen und des Galeristen Anders Möhl. Etwa eine Tuschezeichnung, die nichts anderes proklamiert als: „Ah Ah Ah Ah Staying alive, Staying Alive“.

Seit wann ist ein Songtext der Bee Gees Kunst? Am Leben zu bleiben, ist natürlich ein Appell, der sich direkt an den Patienten wendet. Also Medizin. Oder zumindest ein Placebo. Erst recht im Kontext des Mobiliars. Ihre volle Wirkung entfaltet die Botschaft aber erst in dem Wissen, dass der Rhythmus des Popsongs genau dem Rhythmus entspricht, mit dem Rettungssanitäter den Brustkorb des Herzinfarktpatienten drücken.

Es gibt noch mehr solch absurder Zeichnungen. Absichtlich simpel, fast wie Kinderkritzeleien, dazu in einem Kalauerhumor, wie man ihn in der Titanic antrifft. Das ist uns zu platt. „Wenn Sie mich albern finden — das stimmt genau“, meint Eva von Platen. Oder aber wir schweben auf einer zu rational dominierten Denkebene.

Wir entdecken diverse Zeichnungen des Galeristen Möhl, die in Stil und Humor den Exponaten der Eva von Platen kongenial entsprechen. Dazu gehören deftige Skizzen im Grenzbereich zur Pornographie, doch mit Hintersinn. So würgt ein Mann sein Genital mit den Worten: „Hab’ ich dich, du Sau!“. Triebverzicht und Befriedigung durch Masochismus fallen in eins. Außerdem studieren wir eine Zeichnung, in der sich ein Staubsauger einem blanken Hinterteil bedenklich nähert. Untertitel: „Nur in Ausnahmefällen übernimmt eine gesetzliche Kasse die Darmreinigung.“ Anders Möhl sieht seine Arbeiten als Begleitung zur Ausstellung. „Ich will mit jedem Künstler in der Galerie in einen Dialog treten.“

Doch halt, es geht ja um Eva von Platen. Die begreift ihre Kunst als Hausapotheke für die Seele. Vermittelt sie Hoffnung? Für Hoffnung ist die Religion zuständig, und da entdecken wir Fundstücke vom Flohmarkt. Etwa das Fragment einer Keramik-Maria, oder ein Holzkreuz. Bloß klebt an dessen Balken nicht die Aufschrift „INRI“, sondern „INgrid“.

Skurrile Figuren

Vielleicht sollte man jedes Exponat nicht für sich alleine betrachten, sondern alles im Gesamtzusammenhang? Wir begutachten ein Ensemble: ein Foto von Inger Nilsson als Pippi Langstrumpf, eine Bleistiftzeichnung, die eine füllige Pippi auf ihrem Pferd zeigt, sowie das Foto einer Dame mit wüstem Schopf, ähnlich Bill Kaulitz von „Tokyo Hotel“. Darunter eine Zeitung mit der Veranstaltungsseite zum Wochenende. Da geht es um Rilkes Stundenbuch und dessen Ausdeutung in einem kirchlichen Seminar. Außerdem sehen wir ein Gemälde, in dem zwei hoffnungslos verdreckte Gestalten einem klaren Swimmingpool entsteigen.

Wir einigen uns mit der Künstlerin: Pippi Langstrumpf verkörpert ein unerreichbares Ideal von Freiheit und Anarchie unserer Kindertage. Wogegen ihre Spielkameradin Annika als Inbegriff des Zauderns und Spießertums unsere Verachtung verdient. Und doch sind wir alle Annika. Und wenn Annika in die Jahre kommt, versucht sie, Flippigkeit nachzuholen, wirkt aber nur peinlich wie jener Blondschopf. Der Versuch, sich zu läutern, führt also zur seelischen Selbstverschmutzung. Und Rilke muss man pur lesen, ohne die Kandare der theologischen Deutung. Wie alt ist eigentlich die Künstlerin? „Ich bin gar nicht 49“, gesteht Eva von Platen, „sondern vier.“

Sind wir Herren unseres Lebens oder determiniert von ungreifbaren Mächten? Ein Aquarell zeigt zwei Skalen einer Gen-Sequenz. Dazu der Text: „Lass dich nicht GEN, Kevin wird ewig fett bleiben.“ Soll heißen: „Füge dich in dein Schicksal und mach das Beste draus.“ Das ist angewandter Fatalismus. Sollte Kunst aber nicht den Menschen über seine Beschränkungen erheben? Handelt es sich hierbei um eine „kranke“ Kunst, die den Menschen desillusioniert? Oder aber handelt es sich um eine Kunst, die durch vermeintlichen Fatalismus den Rezipienten zu einer „Jetzt erst recht!“-Trotzhaltung provoziert?

Jede Kunst kennt eine Utopie. Auch Eva von Platen hat eine, und sie bedient sich des Alten Testaments. Da gibt es die Vision des Jesaja vom Lamm, das bei den Wölfen weidet. Bei von Platen sieht das so aus: Ein Tier grast auf der Wiese und reckt sein Hinterteil, derweil ein raubtierartiger Genosse aus dem Wald auftaucht und nicht Fress-, sondern Zuwendungsgelüste signalisiert. Ob das gutgeht?

Was hat das Ganze mit Sigmund Freud zu tun? Freud meinte, alle Kultur und Kunst verdanke sich der Sublimation, also der Umleitung der Triebbefriedigung in kreative und andere konstruktive Betätigungen. Demnach wäre das Ziel unser aller Sehnsucht der Schauplatz unmittelbaren Gelüstvollzugs: Ballermann in Ewigkeit. Ozapft ist!

„Freuds“ in der A.Theke, Nürnberger Straße 38, Fürth. Bis Mitte Mai jeweils Do., Fr. und Sa. ab 18 Uhr geöffnet — oder wenn die Leuchtreklame brennt

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