Historischer Tag

24.7.2014, 16:20 Uhr
Historischer Tag

© Mark Johnston

Mittwochnachmittag, die ersten alten und uralten Stühle gingen den Weg alles Irdischen — Richtung Recyclinghof. Zersägt, zerlegt, zertrümmert. Drei Viertel des Parketts sind schon draußen. Intendant Werner Müller bemühte beim Pressegespräch denn auch gleich das große Rhetorik-Karo: „Ein historischer Tag für das Stadttheater“ sei dieser Demontage-Start. Vielleicht hat er sogar Recht, immerhin handelt es sich um die erste komplette Neubestuhlung des Hauses seit 1902 — und da wurde es eingeweiht.

Neue, bewegliche Logenstühle kamen schon 2007, doch das ungleich größere Abenteuer wartete im Parkett und in beiden Rängen: 650 bombenfest auf Rohrgestellen verankerte Klappstühle waren zur Freude zahlreicher Orthopäden heftig in die Jahre gekommen. Das wusste man selbstredend schon, als zur Jahrtausendwende die umfangreiche Zehn-MillionenEuro-Schönheitskur fürs Haus anstand. Aus Kostengründen jedoch verschob die Stadt die Neubestuhlung.

350 Spender

Eine zur Spielzeit 2010/11 gestartete Spendenaktion sollte helfen, das Sitzplatz-Abenteuer nicht zum ganz großen Finanzierungs-Blindflug ausarten zu lassen. 350 Einzelspender erklärten sich bis vergangene Woche zu Patinnen und Paten der neuen Stühle. Lohn ist eine Namensplakette auf der Rückenlehne. Beispielhaft voran ging seinerzeit der Verlag Nürnberger Presse, der als erster Stuhlspender gleich die Patenschaft für die gesamte erste Parkettreihe übernahm. Größter Spender ist der Theaterverein, dessen Mitglieder ein Herz für 51 Stühle hatten; ferner öffneten viele Unternehmen aus der Metropolregion die Schatulle, auch Fürther Prominente, wie etwa SpVgg-Boss Helmut Hack, Musiker Thilo Wolf, Bundesminister Christian Schmidt.

Trotz allem: Im Rathaus rumpelte es zeitweise vernehmlich, als die magische Zahl kursierte, 800 000 Euro. Grünes Licht gab der Stadtrat erst im Frühjahr 2013. Noch mal gefragt: Was zum Teufel soll an Stühlen so teuer sein? Müller verwies gestern abermals auf die Tatsache, dass es nicht nur einer historisch stilgetreuen Nachbildung der Stühle bedurfte; zudem ist jeder Sitzplatz ein handgefertigtes Unikat, denn jede Stuhlreihe hat eigene Maße, eigene Blickrichtungswinkel, eigene Schikanen. Bepolsterung, Holzoberfläche, Beschlagstechnik: heikle Punkte, auf die Denkmalschützer besonders pingelig schauen.

Zugleich nutzt das Haus im Zeitfenster bis Ende September die Gelegenheit, seine Schwerhörigen-Anlage bis in die hinteren Parkettreihen auszuweiten und zu verbessern. Erstmals wird es, weil inzwischen gesetzlich vorgeschrieben, Plätze für Rollstuhlfahrer geben sowie ein neues Licht- und Leitwegesystem für den Notfall.

Mit der Neubestuhlung wurde am Ende eines „konzentrierten Auswahlverfahrens“ (Müller) die Firma Eheim aus dem baden-württembergischen Öhringen betraut. Zum Kundenkreis des (Auf-)Möbelspezialisten zählen unter anderem das Berliner Renaissance-Theater, das Passionsspielhaus Oberammergau sowie die Theater in Salzburg und Wiesbaden, zwei Häuser, die, wie das Stadttheater Fürth, vom Wiener Architektenduo Hermann Helmer und Ferdinand Fellner geplant wurden.

Einbau ab 18. August

Die Stuhl-Demontage ist seit Mittwoch in vollem Gang, am 2. August soll sie beendet sein. Parkett- und Elektroarbeiten starten gleich danach, Einbau und Montage der neuen Stühle sind vorgesehen zwischen 18. August und 5. September. Bleiben fünf Wochen Puffer und Zeit fürs Saubermachen, ehe am 17. Oktober mit der Premiere des Webber-Musicals „Sunset Boulevard“ — Hauptrolle: Helen Schneider — der Aufführungsreigen der Spielzeit 2014/15 im Großen Haus beginnt.

Doch verschwinden bis dahin wirklich alle alten Stühle? Nein. 26 Plätze im zweiten Rang bleiben auf freundlichen Druck des Landesamtes für Denkmalschutz erhalten, sie werden nur sanft an den Stil der neuen Stühle angepasst. Und wen die ganz große Nostalgie befällt: Auch ihm kann geholfen werden. Einige alte Stühle, so Fürths Kulturreferentin Elisabeth Reichert gestern, wandern ins Stadtarchiv. Der Rest auf den Schutt, denn abgetrennt von der komplexen Rohrkonstruktion und abgesägt vom Nachbarplatz taugt kein Stuhl mehr als Schmuckstück in Fürther Fluren und Wohnzimmern.

Das genaue Alter der Demontierten kennt übrigens niemand, die Unterlagen sind mehr als dürftig; eine größere Renovierungsaktion vor 2000 gab es zu Beginn der siebziger Jahre, davor in den Dreißigern. Punktuell wurden Stühle von Zeit zu Zeit ausgetauscht; dass aber tatsächlich noch über 80 Jahre alte Exemplare ihren Dienst bis neulich verrichteten, gilt als unwahrscheinlich. Als völlig ausgeschlossen wiederum, dass noch Stühle von 1902 vorhanden sind. Zu vermuten ist eher, dass die ältesten Sitzgelegenheiten etwa vier Jahrzehnte im Einsatz waren. Mancher treue Theatergänger dürfte rückengeplagt nicken und mit einer gewissen Vorfreude dem Herbst entgegenblicken.

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