Infernalischer Festivalspaß

20.11.2017, 20:00 Uhr
Infernalischer Festivalspaß

© Foto: Margot Jansen

Auch ein Cello, ganz allein auf weiter Flur, kann spirituelle Räume durchmessen. Das bewies am Samstagabend Christoph Heinlein, der alte und moderne Cello-Literatur ineinander verschachtelte. Die viersätzige Sonate für Violoncello solo Opus 146 von Roland Leistner-Mayer, ein Werk aus dem Jahr 2014 umrahmte und intermittierte der 31 Jahre junge Heinlein mit Ricercaren und Fantasien von Domenico Gabrielli aus dem 17. Jahrhundert und Joaquin Rodrigo aus dem 20. Jahrhundert.

Allen Stücken gemein ist die Suche nach Neuem, erklärte der Cellist. Sein Programm "Reformation – Transformation" ist nicht so sehr auf das Erfinden von Neuem angelegt, sondern auf das Wiederfinden von Vorhandenem und dessen Umwandlung für neue Bedürfnisse. Das Suchen, Finden, Zweifeln und Realisieren in Musik auszudrücken, war Thema des Gesprächskonzertes.

Den Anfang machte Gabrielli mit dem "Ricercar Nr. 1 (um 1680), ein Stück, das schon im Titel eine Suche propagiert. Entsprechend zögerlich vorantastend summt das Cello, sehr introspektiv. Roland Leistner-Mayers Sonate offeriert eine Tonfolge, eine Melodie, die der Virtuose durch diverse unterschiedliche Stimmungen, Tempi und Vortragsweisen geleitet. Mal elegisch, mal aggressiv, hektisch oder breit dahin strömend.

Suchen und Finden

Zwischen den Sonatensätzen ziehen Gabrielli und Rodrigo ihre eigenen Wege vom Suchen und Finden. Am Ende schließlich gelingt mit dem vierten Sonatensatz von Leistner-Mayer die Transformation vom letzten Zweifel zur sicheren Gewissheit. Den Abschluss bildet Max Regers Suite für Violoncello allein opus 131 c Nr. 3 von 1914, ein Werk aus den letzten Lebensjahren. Auch hier gelingt Reger nach anfänglichem Suchen und Experimentieren eine Melodie, die er in sechs Variationen aufblühen lässt.

PAm Vorabend schon hatte Reger zum Orgelkonzert in St. Paul ein musikalisches Inferno beigesteuert. Matthias Neumann eröffnete das Programm mit Reges 1901 komponierter "Inferno-Fantasie". Geballten Akkordmassen brechen dabei aus der gewohnten Tonalität aus. Durchaus verständlich, dass Zuhörer und Kritiker dieses Werk zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Entsetzen aufnahmen, weil es bestehende Fesseln aufbrach.

Neumann, Bach-Preisträger der Stadt Leipzig 2012 und Professor an der Hamburger Musikhochschule, stellte Werke von Johann Sebastian Bach zwischen diese Symphonische Fantasie op. 57 und Regers Choralfantasie "Ein feste Burg ist unser Gott" op. 27. Zum Abschluss erklang letzteres Thema dann in Form des Lutherchorals aus dem Jahr 1529, der im zu Ende gegangenen Lutherjahr allerdings schon ziemlich strapaziert wurde.

Idealer Interpret

Matthias Neumann war der ideale Interpret für dieses monumentale Werk von Max Reger. Mit perfekter Virtuosität, variabler Registrierung, überlegener Gestaltung der von Gegensätzlichkeit geprägten Teile formte er dieses ausladende Opus zu einem gewaltigen Ganzen. Dazu gehören geheimnisvolle, fast entrückt wirkenden Passagen, grandiose Steigerungen, ruhige choralartige Teile und ein fulminanter strahlender Dur-Schluss, in dem das Chaos der harmonischen Schöpfung weicht.

Auch in Regers abschließender Choralfantasie "Ein feste Burg ist unser Gott" – in spätromantischer Klangwelt – war Neumann ein souveräner Gestalter, der die das Werk dominierende Choralmelodie als Cantus firmus deutlich hörbar herausarbeitete, die Pianopassagen klangschön registrierte, ehe das Werk in breitem Tempo und strahlendem Fortissimo endet – ein fulminanter Ausklang.

Einen krassen Gegensatz dazu bilden die ausgewählten Lutherchoräle aus der "Clavier-Übung dritter Teil" von Johann Sebastian Bach in fein säuberlich geordneter chronologischer Reihenfolge. Diese Choralvorspiele sind nicht nur "für Liebhaber und Kenner" zusammengefasste Orgelstücke, sondern auch eine Predigt mit musikalischen Mitteln, die den Glauben in Musik übersetzt.

Neumann interpretierte diese Stücke mit viel Liebe zum Detail: In den drei Kyrierufen erklingt der Cantus firmus in feiner Phrasierung im Pedal und wird von den Oberstimmen umspielt, in "Allein Gott in der Höh sei Ehr" sind über der Choralmelodie filigrane ineinander verwobene Figuren zu hören und im Choralvorspiel "Vater unser im Himmelreich" prägen sorgfältig gesetzte Pedaltupfer den Gesamtklang. Diesen Choral hat Felix Mendelssohn-Bartholdy seiner Orgelsonate in d-Moll, op. 65 Nr. 6, zugrunde gelegt. Sie beginnt mit dem Choral und einer Fuge, in der die Melodie in immer wieder neuen Klangfarben bei ruhig fließendem Tempo breit entfaltet wird. In schlichter, liedhafter Melodik verklingt das Werk. Die Interpretation von Matthias Neumann erzeugte ein stimmiges Bindeglied zwischen den Chorälen von Johann Sebastian Bach und der Choralfantasie von Max Reger.

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