Integration über das Ehrenamt

26.10.2013, 13:00 Uhr
Integration über das Ehrenamt

© Eduard Weigert

„Meine Mutter hat sich als Landtürkin aus Wilhermsdorf gefühlt“, sagt Hatice Tüzemen (45). Sie selbst war schon als Kind begeistert von der Überschaubarkeit der Marktgemeinde im Zenngrund. Und sie kann sich noch gut erinnern an „meine deutsche Ziehoma. Nicht nur wir wurden als Ausländer hier schon immer gut behandelt“, sagt sie.

Ihre Mutter wurde einst als Gastarbeiterin in Istanbul rekrutiert. Nach der Ankunft landete sie in einem Frauenheim im Dorf Dürrnbuch. Doch sie habe sich schnell integriert, habe darauf bestanden, nicht als „Frau Gastarbeiterin“, sondern mit ihrem Namen angesprochen zu werden, erzählt Hatice Tüzemen. Später „war meine Mutter die erste ausländische Betriebsrätin bei Faber-Castell. Das alles hat mich geprägt.“

„Unsere Integrationsfähigkeit, diese Offenheit kommt auch von unseren Eltern her“, stimmt Sitki Tüzemen (45) seiner Frau zu. Sein Vater war einer der Mitbegründer des türkischen Kulturvereins in Fürth, saß im dortigen Ausländerbeirat, „hat versucht, aus dem Treff heraus Brücken zu deutschen Vereinen in Fürth zu bauen.“ Sitki, den alle nur „Sit“ nennen, hat also eine enge Beziehung zur Kleeblattstadt.

Doch als seine Frau mit Sohn Cem schwanger war, zogen sie aus der Großstadt in die kleine Marktgemeinde. Fast 15 Jahre ist das nun her. Hier wurden sie sesshaft, machten sich später selbstständig mit einem Obst- und Gemüsehandel. Und Sit ließ sich meist nicht zweimal fragen, wenn in einem Verein Not am Mann war. Ob als Büttenredner bei der Faschingsgesellschaft Edburmi, als Fußballschiedsrichter für den TSV oder als Jugendtrainer für die Tell-Schützen: Überall war er schnell aktiv und mit viel Engagement dabei. Sohn Cem (14) ist übrigens auch begeisterter „Deutschtürken-Landler“. Er fühlt sich in der Stadt weniger wohler, weil es dort anonymer sei: „Du kennst ja nicht mal die Leute im Nachbarhaus.“

Die Gesundheit hat Sit und Hatice Tüzemen in den letzten Jahren einige Schnippchen geschlagen. Sie hat eine schwere Krankheit hinter sich. Sie ist eine Kämpferin, weshalb einige Menschen gar nicht merkten, wie schlecht es ihr geht. Sit hat zwei Herzinfarkte überstanden, den letzten im August. In der Kur habe er gemerkt, dass er erst richtig fit werden muss, bis er voll belastbar ist und wieder ein körperlich anstrengendes Fußballspiel leiten kann. Deshalb sieht man ihn jetzt oft beim Nordic-Walking. Doch die ansteckend gute Laune haben beide nicht verloren.

Und nun haben sie einen neuen Entschluss gefasst: „Wir wollen beide den deutschen Pass.“ Das hat bei Sit Tüzemen vor allem politische Gründe: „Durch die jüngeren Entwicklungen in der Türkei, als die Demokratiebewegung niedergeknüppelt wurde von dem autoritärem Regime, ist mir bewusst geworden, dass mir dieses Land fremd ist.“ Hier dagegen könne er ganz selbstverständlich friedlich protestieren, wenn er einen Missstand erkenne.

Hatice sagt, sie „habe den deutschen Pass bisher nicht gebraucht“. „Ich habe als Türkin hier meinen Weg gemacht, hatte nie das Gefühl, hier fremd zu sein.“ Dennoch wolle sie ihn nun „aus Überzeugung“. Auch wenn sie sich „nicht als typisch deutsch und nicht als typisch türkisch sehe, sondern zwischendrin. Ich habe zwei Kulturen in mir.“

Auf diese offene Art haben sich die Tüzemens „auch selber integriert. Aber man muss den Menschen das Gefühl geben, dass man sie hier ehrlich willkommen heißt“, fordert Sit dieselbe Offenheit von Deutschen Migranten gegenüber ein. Und zwar egal, ob diese zu den gut ausgebildeten Fachkräften gehören oder als Bürgerkriegs- oder Bootsflüchtlinge Asyl beantragen.

Bürger statt Verein

„Integration durch bürgerschaftliches Engagement“ lautete in diesem Jahr das Motto des Mittelfränkischen Integrationspreises, wie Regierungspräsident Thomas Bauer die Auswahlkriterien erläuterte. Kein Wunder, dass er den „Ehrenpreis an Sitki Tüzemen und seine Familie für besonders gelungene Integrationsleistungen“ vergab: Die Tüzemens seien „ein hervorragendes Beispiel dafür, wie durch bürgerschaftliches Engagement und die damit verbundene Partizipation am gesellschaftlichen Leben Integration gelingen kann“, lobte Bauer.

Für die als Gast anwesende Grüne Landtagsabgeordnete Verena Osgyan war „die Verleihung des Ehrenpreises an Sitki Tüzemen und seine Familie besonders erfreulich, weil damit nicht nur Vereine oder Organisationen, sondern ganz normale Bürger ausgezeichnet wurden“.

Eigentlich hatte Sit Tüzemen als Entgegnung eine lange Rede vorbereitet, aber dann doch nur kurz die Kernbotschaft vorgebracht: Leute, die nach Deutschland kommen, sollten dieses Land als ihren Lebensmittelpunkt sehen. Und von den Deutschen forderte er: „Willkommenskultur heißt zu sagen: Du bist ein Teil von uns.“

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