Irrsinn und Wortwitz in der Kofferfabrik

11.4.2016, 12:30 Uhr
Irrsinn und Wortwitz in der Kofferfabrik

© Foto: Markus Kohler

Wie reagiert eine Frau, wenn sie sich gekränkt fühlt? Streitmodus 1: Es setzt ein Donnerwetter mit sich überschlagender Stimme und reichlich finalen Tränen. Oder Streitmodus 2: Sie sagt gar nichts mehr. Sitzt nur da und schweigt. Eisiges Schweigen kann unheimlich beredt sein, kühlt die Raumtemperatur auf Gefriertruhen-Niveau – und wie der Mann sich auch windet und argumentiert: Tauwetter ist nicht in Sicht.

Patricia, die sich von ihrem Geliebten Christophe schlecht behandelt fühlt, schweigt also. Obwohl beide bei Christophs Freund Jean-Luc und dessen künftiger Gemahlin Natalie eingeladen sind. Diese belegen sich mit den putzigsten Kosenamen („Chochou“), bekunden permanent ihre Zuneigung und wundern sich, warum Patricia nichts sagt. Ach so: Sie ist wohl Ausländerin und versteht kein Französisch . . .

Weil Patricia angeblich nichts mitbekommt, spekulieren Jean-Luc und Natalie offen über ihre Herkunft und Absichten, über Scheinehe und Ausnutzerei. Patricia durchschaut den Irrtum — und bricht ihr Schweigen. Doch statt den Irrtum aufzuklären, bestätigt sie die falsche Situation, indem sie in Phantasie-Slawisch radebrecht. Angeblich stamme sie aus Chouwenien, einer Provinz des zerfallenen Jugoslawien.

Als arme Vertriebene langt Patricia beim Essen tüchtig zu, strahlt ihre Gastgeber in geheuchelter Naivität an, führt sie gar in die Balkanfolklore ein. Jean-Luc und Natalie wiederum überhäufen sie mit Spenden für das arme chouwenische Volk. Bis Patricias Auge auf eine Schneekugel fällt. Diese zeigt das titelgebende Venedig im Winter. Doch da ist bei Natalie der Ofen aus. Dies ist eine Liebesgabe von Jean-Luc, das darf nicht weg. Nun setzt Streitmodus 1 ein: Jean-Luc, wie kannst du es wagen?

„Venedig im Schnee“ setzt vordergründig auf Wortwitz. Wie es sich für eine französische Komödie gehört, ist auf engstem Raum ständig was los, klingeln anfangs die Telefone, muss der Braten überwacht werden, herrscht ein ständiges Kommen und Gehen – was den Paaren Gelegenheit gibt, sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu präsentieren. Hier Hausfrau und bürgerlicher Gespons in eitel Harmonie, dort das Paar auf Kollisionskurs: er auf Ausgleich bedacht, sie auf rigorose Durchsetzung.

Das letzte Hemd

Doch hintergründig stellt der Autor Gilles Dyrek bürgerliche Wertvorstellungen bloß. Gerührt von der liebenswürdigen Patricia, geben die Gastgeber in ihrer Spendenbereitschaft ihr letztes Hemd her, vor allem aber alles Überflüssige, Abgelegte und Geschmacklose. Vom rosa Hasenpulli über den Schwarzweißfernseher bis zur Kuckucksuhr. Bloß bei wahrem Kitsch hört die Liebe auf.

Und ein zweiter Entwicklungsstrang zeichnet sich ab: Je wüster Jean-Luc und Natalie ihre Harmonie zerlegen, umso tiefer finden die anfangs zerstrittenen Christophe und Patricia zueinander. Das bereitet einen Irrsinns-Spaß, vor allem Tanja Busch und Kord Pankoke als beflissen-hektische Gastgeber brillieren mit ihrem Gutmensch-Getue.

Linda-Marie Runkels eisiges Mienenspiel der ersten Hälfte weicht einer höchst ausdrucksstarken pseudonaiven Schaustellung, die von Überschwang bis zur Panik („nix Polizija!“) reicht. Regisseur Frank Strobelt als ihr Lover beobachtet die Szene fassungslos; umso mehr er die Situation zu entwirren versucht, desto weiter schraubt er die Spirale der Missverständnisse. Bis am Ende der große Knall folgt.

Wer den Trubel verpasst hat, muss sich nicht grämen, es folgen weitere Aufführungen in der Nachbarstadt. Die nächste am 16. April in der Villa Leon, Nürnberg.

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