Jüdische Kindheit in der NS-Zeit

28.4.2016, 11:00 Uhr
Jüdische Kindheit in der NS-Zeit

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Es könnte eine unbeschwerte Kindheit sein. Mit dem Holzroller durch die Straßen Fürths düsen, mit anderen Kindern toben. Rolf Riedel war dies nicht vergönnt.

Jüdische Kindheit in der NS-Zeit

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Riedel wurde 1936 im jüdischen Krankenhaus in Fürth geboren. Da waren die Nationalsozialisten gerade drei Jahre an der Macht und hatten die systematische Entrechtung und Verfolgung der Juden längst in Gang gesetzt. Sein Vater, sagt Riedel, habe angesichts dieser Entwicklung nichts unversucht gelassen, die Mutter dazu zu bewegen, das Kind nicht zur Welt zu bringen. „Meine Mutter hat sich aber, so wie ich später von Verwandten hören konnte, zu keinem Zeitpunkt davon abbringen lassen.“

Offen spricht Rolf Riedel auch vom Tode seiner Mutter am 9. April 1941, an den er sich als fünfjähriger Bub nur schemenhaft erinnert. Sie starb im Klinikum Erlangen an einer Komplikation und wurde klammheimlich auf dem Jüdischen Friedhof in Fürth beerdigt, um kein Aufsehen zu erregen. „So ganz wusste ich noch nicht, worum es eigentlich ging. Der Tod hatte in meinem Leben bis dahin noch keinen erkennbaren Stellenwert.“

Das sollte sich in den nächsten Jahren auf dramatische Weise ändern. Auch Riedel selbst war als „Mischling ersten Grades“ (ein NS-Begriff) ständig in Lebensgefahr: „Auch deshalb bestand mein Vater darauf, dass ich heimlich in der Michaelskirche in Fürth getauft wurde. Die rituelle jüdische Beschneidung unterblieb ebenfalls aus nachvollziehbaren Gründen“, sagt Riedel, der heute in der Nähe von Gräfenberg lebt.

Seine Mutter Frieda Herz war Jüdin und stammte aus der Viehhändler-Familie Hausmann in Nenzenheim. Sein Vater August Riedel war hingegen das, was die Nazis „Arier“ nannten, und von Beruf Feinmechaniker und Werksingenieur. Allerdings übernahm er das Konfektionsgeschäft „Zum Propheten“ in der Hirschenstraße 3, das Frieda von ihrem ersten Gatten Bernhard Herz geerbt hatte.

Kurz nach Hitlers Machtergreifung begannen die Schikanen. Vor einem mit Parteigenossen besetzten „Sondergericht“ wurden die noch Unverheirateten wegen einer angeblichen Erpressung schuldig gesprochen. Beide mussten mehrere Monate ins Gefängnis – er in Nürnberg, sie in Aichach. Riedel: „Dass sie trotzdem am 11. Dezember 1933 die Ehe miteinander eingingen, zeugt von dem starken Willen, sich einem solchen Unrechtsstaat nicht zu beugen.“

Mit immer absurderer Hetzpropaganda, eingeworfenen Schaufensterscheiben und dem Versuch, die Kunden am Einkauf zu hindern, ging der Kleinkrieg weiter. „Selbst der Fensterputzer unseres Geschäftes trug später die SA-Uniform.“

Das Geschäft wurde arisiert

Rolfs Stiefbruder Artur Herz flüchtete 1936 nach Südamerika. Die Reichspogromnacht von 1938 traf auch die Riedels, Rolf war noch keine drei Jahre alt. Sein Vater erzählte ihm später die Einzelheiten: Wie die SA-Leute die Juden auf dem Schlageter-Platz, der heutigen Fürther Freiheit, zusammengetrieben, geschlagen und die Nacht über haben stehenbleiben lassen. Danach musste der Vater zum „Verhör“ bei der Geheimen Staatspolizei.

Es folgte die „Arisierung“ des Textilgeschäfts. So hieß die zwangsweise Enteignung zugunsten linientreuer NSDAP-Mitglieder. Damit war von einem Tag auf den anderen die Existenzgrundlage der Familie zerstört. „Mein Vater durfte noch die Scherben von der Straße kehren, aber seinen Laden nicht mehr betreten.“

Mit dem Verkauf von Feuerlöschern hielt August Riedel, der als „jüdisch versippt“ Probleme hatte, Arbeit zu finden, die Familie über Wasser. 1940 wurden die Riedels bei anderen Juden in Nürnberg zwangseinquartiert: „Sie waren der Ersatz für meine nicht mehr lebenden Großeltern.“ Bis die Uhlfelders im März 1942 ins Ghetto Izbica bei Lublin verschleppt und dort ermordet wurden: „Noch heute sehe ich die beiden Alten, die nicht viel mehr als einen Koffer mitnehmen durften, wie sie von SS-Schergen vor unserem Haus auf einen offenen Lastwagen gestoßen wurden, auf dem sich schon einige Leute befanden. Sie konnten kaum mehr zurückwinken. Ich habe sie nie mehr gesehen.“

Besonders erschüttert hat Rolf Riedel das Schicksal seiner Halbschwester Elisabeth, genannt Liesel. Sie führte nach dem Tode der Mutter den Haushalt und kümmerte sich auch um den kleinen Rolf. Ab 1941 musste sie den Judenstern an der Kleidung tragen und war ständig von der Deportation bedroht. Der Stiefvater konnte durch persönliche Vorsprache ihre Verschleppung mehrfach verhindern.

Am 17. Juni 1943 wurde Liesel dann doch mit den letzten Fürther Juden ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppt und dort vier Tage später im Alter von gerade einmal 20 Jahren in der Gaskammer ermordet: „Die Lücke, die sie hinterlassen hat, konnte nie gefüllt werden. Noch heute erfüllt mich der Gedanke an diese Ungerechtigkeiten mit viel Bitterkeit und Trauer.“

Rolf Riedel hatte mehr Glück als seine Halbschwester. Die letzten Kriegsjahre überlebte er untergebracht bei verschiedenen Verwandten und Bekannten des Vaters auf dem Lande.

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