Kamera an: Steiner Kinderhaus arbeitet mit Video-Aufnahmen

15.2.2019, 06:00 Uhr
Kamera an: Steiner Kinderhaus arbeitet mit Video-Aufnahmen

© Foto: Uwe Anspach/dpa

Nur vier Einrichtungen in ganz Bayern sind für Marte Meo qualifiziert, erläutert die Leiterin Petra Henle-Dietzel. Um das Zertifikat zu erhalten, ließen sich zehn von 19 pädagogischen Fachkräften aus Stein in dem von der Niederländerin Maria Aarts entwickelten sogenannten Erziehungsbegleitsystem ausbilden.

Die Besonderheit: Kinder werden gefilmt und in den kleinen Videosequenzen ihre Stärken herausgearbeitet. Denn ein Bild sagt meist mehr als eine langwierige Erklärung. Das Konzept, das den Erzieherinnen das Handwerkszeug für ihre Arbeit liefert, wird weltweit von Australien bis Polen angewandt. Bei uns ist es im Gegensatz zur Montessori-Pädagogik weitgehend unbekannt.

Fünf Minuten gefilmt

Fast jeder hat diese Erfahrung in seiner Schulzeit erlebt: Das Diktat oder die Mathearbeit strotzen nur so vor roten Fehleranstrichen. Dabei waren doch auch ganz viele Wörter korrekt geschrieben oder einige Rechenansätze durchaus richtig. Doch betont wird nur das Falsche.

"Wir müssen die Dinge, die da sind, neu sehen", sagt Petra Henle-Dietzel, und das funktioniert per Kamera. Übertragen auf das Kindergartenalter heißt das, das schüchterne Mädchen ist nicht nur schüchtern, sondern es hat auch den Moment, in dem es von seinem Malpapier aufsieht und einem anderen Kind einen Stift zuschiebt. Der laute, unruhige Junge kann den Blickkontakt mit seiner Erzieherin ein paar Sekunden halten und hört ihr zu.

Im Alltag gehen diese "guten Momente", wie die Pädagogin sagt, oft unter. Deshalb werden Kinder während des freien Spiels oder in einer angeleiteten Situation jeweils rund fünf Minuten gefilmt. Die Kinder haben sich längst an die Erzieherin mit der Kamera gewöhnt und verhalten sich nicht anders als sonst.

Manchmal entdecken die pädagogischen Fahrkräfte erst beim Ansehen der Sequenzen das Gelungene. Genau solche positiven Augenblicke werden im Video herausgeschnitten und als Erfolge gefeiert. Das Team bespricht dann, wie weiter vorgegangen wird.

Das Selbstbewusstsein soll gestärkt werden

Jetzt ist klar, das schüchterne Mädchen malt gern, ist kreativ — also wird sie hier viele Angebote und Ermunterung bekommen. Den anderen Kindern werden ihre Bilder gezeigt: Seht mal, wie schön bunt das ist! Sie soll an Selbstbewusstsein gewinnen. Jede gelungene Kommunikation mit anderen Kinder wird "gefeiert". "Unsere Aufgabe ist es ,Dolmetscher‘ zu sein", fasst Henle-Dietzel die Arbeit, die genaue Beobachtungsgabe erfordert, zusammen.

Der laute, unruhige Junge bekommt ein bisschen mehr Zuwendung als die anderen Kinder. Ruhig spricht ihn die Erzieherin an und legt ihm dabei die Hand auf den Arm. "Hörst du mich?", fragt sie. Erst wenn er den Blickkontakt hält, versteht er die Aufforderung, seine Jacke anzuziehen. Klappt die Kommunikation zwischen Erwachsenem und Kind, dann klatschen sie sich ab — ein guter Moment.

Ungeteilte Aufmerksamkeit

Die Videos bekommen die Kinder normalerweise nicht zu sehen, doch gelegentlich die Eltern. Denn auch sie sollen sich nicht auf die Probleme fokussieren, sondern auf die Stärken ihrer Kindern, ihnen in ihre Welt folgen, sich und ihren Söhnen und Töchtern die Zeit schenken, genau hinzusehen und zuzuhören. "Ich weiß auch, wie schwierig es ist, im Alltag sich auf das kindliche Tempo einzulassen", sagt Petra Henle-Dietzel.

Ihr Minimalanspruch an die Eltern der 104 Mädchen und Jungen im Alter zwischen einem und sechs Jahren aus ihrer Kita ist, zumindest gelegentlich das Handy zu ignorieren. "Das größte Geschenk ist, gesehen zu werden", sagt sie.

Die ersten sieben Lebensjahre seien prägend, leider sei das in unserer Gesellschaft zu wenigen Menschen bewusst. Es rentiere sich also, in diese ersten Jahre besonders viel Aufmerksamkeit zu stecken für eine gelungene Kommunikation, die auch über dieses Alter hinaus reicht.

Um Väter und Mütter besser anleiten zu können, besuchen drei der Erzieherinnen der Einrichtung den Aufbaukurs Marte Meo. Dann sind die Steiner Pädagoginnen auch Eltern-Coaches.

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