Kampf dem Kot

24.10.2010, 19:00 Uhr
Kampf dem Kot

© Hans-Joachim Winckler

So unscheinbar er war (und ist), er gehörte früher einmal zu jedem Haus. Gleich bei der Eingangstür, rechts oder links neben dem Tor, war er gleichermaßen ein Objekt der Nützlichkeit wie auch ein Symbol der Sauberkeit: Der Schuhabkratzer war einst ein Utensil, an dem der reinliche Mensch auf seinem Weg von Außen nach Innen nicht vorbeikam.

Ein kleines gebogenes, fest verankertes Eisenteil, auf das man die Sohle setzte, um sich mit einem kräftigen Ruck, einem hartnäckigen Schaben, einem gewohnheitsmäßig flüchtigen Abstreifen des Schmutzes der Straße zu entledigen: So altmodisch muss man sich schon ausdrücken, damit klar wird, dass der Abkratzer seine verdienstvolle Zeit lange hinter sich hat.

Kampf dem Kot

© Hans-Joachim Winckler

Wer heute mit gesenktem Blick durch die alten Fürther Straßen spaziert, wird nur noch selten über ihn stolpern. Genau das aber, das mögliche Stolpern, mag zu seinem Aussterben geführt haben in einer Welt, die sich barrierefrei einrichtet, als würden nur noch Blinde in ihr herumlaufen. Es mag aber auch die verlorengegangene Liebe zu den Details verantwortlich sein; vor einer abwaschbaren Baumarkt-Tür und neben aalglatten Betoneinfahrten nimmt sich so ein verspieltes Eisenteil wie ein vergessenes Stück Sperrmüll aus.

Freilich: Seine wirkliche Notwendigkeit muss heutzutage schon auch infrage gestellt werden. Im Minutentakt schrubben die städtischen Reinigungsfahrzeuge über Gehwege und Kopfstein-Straßen, die allzeit wie gewienerte Parkettböden sauber und rein glänzen, hygienisch einwandfrei. Man kommt in der Regel mit geleckter Sohle nach Hause, wenn nicht gerade Nachbars Lumpi einen (in letzter Sekunde übersehenen) Haufen auf den Randstein gesetzt hat...

Kampf dem Kot

© Hans-Joachim Winckler

Dann wird man sich vielleicht zurücksehnen in Zeiten, in denen er parat war, zehn Zentimeter über dem Pflaster gleichsam schwebend und doch so zuversichtlich verankert in der Mauer, dass er auch einen ob des „Reinsabbens“ wütenden Tritt geduldig aushielt. Man wird die Anwohner der alten Häuser beneiden, in der Theater-, Marien- oder Pfisterstraße, in der Hornschuchpromenade oder der Südstadt.

Dort gibt es sie noch gelegentlich, vornehmlich an Gebäuden, deren Fassaden noch nicht reinlich frisch geputzt sind. Denn auffällig ist schon, dass an renovierten Häusern mit der Patina vergangener Jahre auch konsequent die Schuhabkratzer entfernt wurden und werden. Als seien sie ein lästige Erinnerung an schmutzige Tage, in denen man noch durch den „Kot“, wie der Straßendreck einst hieß, waten musste, bestehend aus Abfall, Pferdeäpfeln und Schlamm unbefestigter Routen.

Wer sich auf die Suche macht, findet aber noch die unterschiedlichsten Modelle. Denn keineswegs war der Kratzer nur ein profanes Alltagsstück. Als solches gibt es ihn zwar schon: Da ragt nur ein, durch den heftigen Gebrauch längst schmales und abgerundetes Eisenteil aus der Mauer neben den zwei, drei Treppenstufen.

Aber immer wieder entdeckt man auch viel ansehnlichere Versionen, im Vergleich zur stinknormalen Funktion des Objekts aufwendig gestaltete kleine Kunstwerke. Manche schauen aus wie umgedrehte Kronen, andere hat der Schmied mit gebogenen Verzierungen an den Rändern ausgestattet: Zierstücke vor reichen Fassaden und noblen Eingangstüren, die Geschmack verraten, der auch vor niederen Verrichtungen nicht Halt macht.

Kampf dem Kot

© Hans-Joachim Winckler

In der Karolinenstraße, vor einem der Häuser, die mit ihren verwunschenen, von schmiedeeisernen Gittern umgebenen Gärten ohnehin heute wie vergessene Stadtschlösser ausschauen, stößt man auf einen, dessen Kratzfläche (ihrerseits sinnigerweise in Form eines Schuhs) wegklappbar war. So wurde liebe- und vorsorgevoll mit ästhetischen Mitteln der Verletzungs- und Sturzgefahr begegnet.

Denn natürlich waren die Dinger nie ganz ungefährlich: Wer durch schlecht beleuchtete Straßen, gar noch nachts, vom Wirtshaus und immer an der Hauswand lang heimging, konnte schon mal hängenbleiben an solch einem verfluchten Eisenteil, das da so unvermittelt in den Weg ragte. Deshalb – oft noch zu besichtigen in der Altstadt rund um die Theaterstraße – gab es Kratzer, die in die Hauswand eingelassen wurden. Wie kleine Nischen sehen sie aus, mit einer einfachen Eisenstrebe davor. Der „verkotete“ Schuh wird in die Fassade gesteckt – und kommt sauber abgeschabt wieder hervor.

Unvorstellbar dreckig

Ob die Schuhabkratzer da, wo sie überlebt haben, überhaupt noch benutzt werden, müsste man in einer Langzeitbeobachtungsstudie nachprüfen. Wahrscheinlich aber kaum, wahrscheinlich hängen sie nur noch unbekratzt und eingemauert in den Wänden rum und warten auf die Fassadenputzer, die sie dann mit einem kräftigen Hammerschlag aus ihrer hundertjährigen Verankerung hauen. Sie haben ausgedient, sind nur noch seltsame Hinterlassenschaften einer Zeit, die man gern gut und alt nennt, die aber eben auch unvorstellbar dreckig gewesen sein muss.

Andererseits: Im Internet gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Herstellern und Versandhäusern, die sich auf ausrangierte Produkte spezialisiert und längst auch den Kratzer wieder im Angebot haben. Man kann ihn für satte 120 Euro neu, aber und auf alt getrimmt, erwerben oder bei Ebay original gebraucht ersteigern. Verbogen und verrostet wie er sein soll.

„Auch wenn in unserer Zeit die Schuhe nicht mehr so dreckig werden wie früher,“ schreibt ein Schmied in seinem Werbetext unter ein besonders schönes, handgeschmiedetes und vernietetes Teil, „sollte schon allein aus optischen Gründen vor jedem Haus ein Schuhabkratzer stehen.“