Kampf ums Kindeswohl in Fürth

24.10.2014, 16:00 Uhr
Kampf ums Kindeswohl in Fürth

© Foto: colourbox.com

Erschütternde Schlagzeilen wie „Säugling zu Tode geschüttelt“ markieren nur die Spitze eines Eisbergs. Wird Säuglingen, Kleinkindern oder Jugendlichen Gewalt angetan, dann erfährt zwar nicht zwangsläufig die Öffentlichkeit davon. Oft aber sehen oder ahnen Mediziner und Vertreter der Jugendhilfe, dass in Familien etwas gewaltig schief läuft, dass Kinder sexuell missbraucht, misshandelt oder vernachlässigt werden.

Mit 45 entsprechenden Verdachtsfällen sah man sich im Fürther Klinikum allein in diesem Jahr zwischen Januar und Oktober konfrontiert. Die Mediziner werden etwa dann stutzig, wenn Knochenbrüche nicht zur Schilderung eines Unfallhergangs passen wollen. Achtmal kamen die Experten nach Angaben von Dr. Birte Schmitt, Assistenzärztin der Klinik für Kinder und Jugendliche und Koordinatorin der interdisziplinären Kinderschutzgruppe des Hauses, zu dem Schluss, dass trotz eines zunächst irritierenden Eindrucks keine Konsequenzen nötig sind. In allen anderen Fällen war man sich einig, dass Handeln not tut. So kamen manche Kinder in Pflegefamilien, bei anderen wurde zunächst einmal nur der zuständige Kinderarzt sensibilisiert, in einem Fall wurde die Polizei eingeschaltet.

Schon bisher haben Ärzte, Polizei sowie Vertreter des Fürther Amts für Kinder, Jugendliche und Familien zum Schutz der meist sehr jungen Kinder zusammengearbeitet. Eine zweiseitige Vereinbarung dazu gibt es auch schon, und zwar seit 2005. Vor dem Hintergrund aber, dass das Bundeskinderschutzgesetz seit 2012 all diejenigen, die beruflich mit Kindern Kontakt haben, verpflichtet, eng zu kooperieren, wurde es nach den Worten von Sozialreferentin Elisabeth Reichert nun nötig, ein „,Update‘ zu erstellen, das die sensible Schnittstelle“ zwischen den Bereichen Gesundheitswesen und Jugendhilfe regelt.

Bei der Unterzeichnung des 17 Seiten umfassenden „Updates“ sprach Prof. Dr. Jens Klinge, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche, nun von einem „ganz großen Fortschritt“ für alle Beteiligten, vor allem aber für die Kinder. Reichert fügte hinzu: „Ich hoffe, dass wir möglichst wenig auf diese Vereinbarung zurückgreifen müssen.“ Und Birte Schmitt gab sich zuversichtlich, dass die getroffenen Regelungen zum Kinderschutz keineswegs nur viel mehr Worte enthalten als das Vorgängerwerk.

Die Koordinatorin der Kinderschutzgruppe wies insbesondere auf die nunmehr standardisierte Fallbearbeitung hin. So kann jeder Arzt im Nachtdienst nachschlagen, dass er beispielsweise bei den Eltern darauf hinzuwirken hat, dass diese ihn schriftlich von seiner Schweigepflicht entbinden. Tun sie das nicht, muss er das Jugendamt gegebenenfalls auch ohne ihre Einwilligung einschalten.

Zentraler Bestandteil der vereinbarung ist ein Ampelsystem zur Gefährdungseinschätzung, das klinische Faktoren ebenso berücksichtige wie soziale und in fraglichen Fällen Orientierung bietet. Anhand eines 15 Punkte umfassenden Kriterienkatalogs ist ein ganzes Spektrum an Fragen, die von der Körperhygiene über eine mögliche Suchtproblematik und Indikatoren für Misshandlung bis hin zu Reife der Eltern reichen, systematisch abzuarbeiten. Je nachdem, ob die Antworten tendenziell in die Rubriken Grün (Keine Gefährdung), Gelb oder Rot (starke Gefährdung/Risikofaktor) fallen, geht es darum, in Fallkonferenzen und im Team Lösungen zu finden und den oft überforderten Familien Hilfen anzubieten bzw., wenn nötig, Meldung zu erstatten. Das Ziel formulierte Reichert so: „Kein Kind darf durch das Netz der Aufmerksamkeit fallen.“ Festgelegt wurden zu diesem Zweck auch Details. Beispielsweise wollen sich die Kooperationspartner „zeitnah“ über personelle Veränderungen und neue Telefondurchwahlen oder Mailadressen informieren.

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