Kleine Fürther Freiheit

14.5.2005, 00:00 Uhr
Kleine Fürther Freiheit

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Im Allgemeinen versteht man unter „Freibad“ ein Bad im Freien. In Fürth dagegen stand das „frei“ einstmals dafür, dass man keinen Eintritt zahlen musste - im Gegensatz zum „Zahlbad“. Historischer Ort des Geschehens: das Rednitzufer an der Badstraße.

Rückblick: Die Geschichte des Flussbades, an das viele sich noch erinnern können, begann 1905 mit Baumaßnahmen an der Rednitz. 1906 eröffnete das Flussbad, ordnungsgemäß unterteilt in ein Männer- und Frauen-Zahlbad. Das Gelände an der Badstraße 8 gehörte zum kostenlosen „Freibad“, es besaß Umkleidekabinen und Stege. In der Mitte bot ein Holzkiosk, der von beiden Bädern aus zugänglich war, Getränke und Erfrischungen an. Über 400 Meter erstreckte sich das Idyll entlang des Rednitzufers, das an heißen Sommer- und Ferientagen bis zu 12 000 Badegäste anlockte. Heute ist es ein verwunschener Winkel mitten im Herzen der Stadt.

„Das Gebäude steht im Grund da wie vor fast hundert Jahren“, sagt Elke Fenneteau vom Verein „Badstraße 8“. Seit März dringen Hammerschläge durch das Dickicht. Eifrig renoviert die junge Künstlerin mit ihren Kollegen das Haus und die Ateliers in dem Bau, der 1910 entstand. Das erste Gebäude an der Ecke Denglerstraße war eine Schlosserei und Werkstatt, 1920 wurde dann eine Militärbaracke errichtet, die über einen Zeichenraum, Werkmeisterräume und Lagerräume verfügte.

Im Jahr 1951 wurde die große Halle durch einen Anbau erweitert, in dem die Schmiede untergebracht wurde. In der Militärbaracke wurden angehende Installateure ausgebildet. Auch der Vater von Oberbürgermeister Thomas Jung gehörte zu den zahlreichen Lehrlingen. Später waren hier das Rote Kreuz, THW, Fischerverein, verschiedene Handwerker und zuletzt Künstler um den Akademieprofessor Michael Munding beheimatet. „Seither kenne ich diesen traumhaften Ort, er ist wirklich geschichtsträchtig“, so Elke Fenneteau. In dieser kleinen Oase haben sie und ihr Mann auch ihre Hochzeit gefeiert.

Viel zu entdecken

Ortsgebunden will sie arbeiten, damit die Kreativität sprudelt: „Wenn ich zeichne, sichere ich Erinnerungen, sammle Assoziationen im Tagebuch-Stil. Mit Räumen ist das ebenso. Sie reizen mich, wenn sie neue Beziehungen zwischen Menschen und Dingen schaffen. Darum habe ich schon mal den Prozess einer Zwischennutzung künstlerisch festgehalten. Hier gibt es unglaublich viel zu entdecken, die Badstraße ist so dicht.“ Elke Fenneteau hat in ihrem neuen kleinen Atelier zahlreiche Fotos gehortet, die sie zerschneidet, übermalt und neu zusammenkomponiert. Aus dem Burgfarrnbacher Archiv will sie sich Material besorgen und sich an einen Dokumentarfilm mit Zeitzeugen wagen.

Auch für Ateliernachbar Matthias Börner ist die entstehende Künstlerkolonie ein gedanklicher Freiraum. Der Kunsterzieher wohnt gleich um die Ecke und bekam im August 2004 die Unterschriftenaktion zum Erhalt des Kunstparadieses mit, als über 800 Bürger sich für einen Sieg der Musen gegen die geplanten Parkplätze einsetzten. An den Ateliertagen schlenderte er erneut auf dem Gelände herum: „Da habe ich diesen Raum gesehen und gleich gewusst: Das ist es, das ist mein neues Atelier.“ Noch war das Quartier belegt, aber nach drei Wochen kam ein Anruf: Jemand ist abgesprungen, möchtest du einziehen? Na klar.

Der Fluss, die Vögel, die Bäume - ein echtes Privatkino. Ein Impressionist ist Börner zwar überhaupt nicht, aber der Ort dringt tief ein. Zumal das Element Wasser ihn immer wieder beschäftigt und die Farbe blau für seine Arbeiten wichtig ist. Ebenso prägend: die gefiederten Freunde. „Mein erstes Atelier war von Tauben belagert, daraus entstanden eingefrorene Flugphasen als Spiegelmosaiken. Mal sehen, was die Zukunft bringt, ich bin begeistert von den wilden Enten und Reihern hier.“ Sein Thema ist im Grunde die Formlosigkeit und die Suche nach der Form, für die Wasser und Vogelflug gleichermaßen stehen.

Alle Ateliers sind schon vermietet, aber nicht nur an bildende Künstler wie Klemens Lang oder Anette du Mont. Mit Michaela Zeitz ist auch eine Sängerin vertreten, Jörg Hopperdietzel und Karl Binder entwerfen Möbel, Birgit Götz ist Dokumentarfilmerin. Mit drei Euro pro Quadratmeter liegen die Preise entsprechend niedrig, um eine bunte Szene anzulocken, die schon von gemeinsamen Ausstellungen, spannenden Begegnungen, genreübergreifenden Projekten und von einem erfrischenden Bad im Sommer träumt. Ein Großteil der Badstraßenfreunde hat gar keines der sieben Ateliers gemietet, sondern will sich anregen lassen und den Freiraum nutzen. Vorbei die Zeiten, als sich eine kleine Clique hier verschanzt hatte, der neue Verein setzt auf Offenheit. Auch die Nachbarschaft schaut schon vorbei. Erst mal läuft der Mietvertrag auf fünf Jahre mit einem Jahr Probezeit, dann wird man weiter sehen.

Lothar Berthold vom Städtebilder-Verlag ist vorbeigekommen und bringt alte Fotografien. Die Künstler sind hellauf begeistert, lassen sich von früher erzählen. „Ein Sommer ohne Flussbad, das war undenkbar. Ich habe dort meine ganze Kindheit verbracht und täglich gebadet. Darum mag ich heute noch keine Schwimmbecken“, lacht Berthold. „1968 war hart, als das Gesundheitsamt das Vergnügen aus seuchenhygienischen Gründen verbot. In Bamberg waren Kinder an Hirnhautentzündung erkrankt und wir konnten nicht verstehen, was das mit uns zu tun hatte.“ Selige Zeiten, als noch niemand darauf kam, gleich vor den Kadi zu ziehen, weil man sich an irgendetwas im Wasser den Fuß verletzt hatte und niemand sich an der Farbe des Wassers, dem Schlamm oder dem Geruch störte. „Heute ist alles sehr sicher und sauber, aber auch normiert und langweilig“, findet Berthold.

Eine Diskussion entzündet sich an der Frage, warum die Kabinen wohl kurz darauf abbrannten. Empörung bei den Jüngeren, als Berthold die Pläne aus den 80er Jahren beschreibt, den Fluss zuzuschütten und auf die andere Talseite zu verlegen, um eine vierspurige Straße zu bauen. Was heute die Nordspange ist, wäre als Westspange durch die Badstraße gegangen, acht Spuren hätten sich um die Stadthalle geschlängelt. Der Bund Naturschutz, in dem auch Berthold aktiv war, trat auf den Plan und konnte die Fürther Weltstadtambitionen verhindern, um einen wichtigen Natur- und Lebensraum zu erhalten. Bei so vielen Rednitz-Erlebnissen wundert es nicht, dass Berthold ein Buch zum Flussbad in Arbeit hat, das noch diesen Sommer erscheinen soll. Die Künstler steuern Geschichten bei, die sie von Zeitzeugen erhalten haben. Über die Fürther Nachrichten hatten sie dazu aufgerufen und rund 20 Einsendungen landeten im Briefkasten an der Badstraße. Etwa das Heimkehrer-Abenteuer, als ein kleiner Junge

gerade im Flussbad schwamm und sein Vater nach dem Krieg an der Siebenbogenbrücke aus dem Zug stieg. Sie sahen sich zum ersten Mal. Was für ein Ort. Zusammen begeben sich die neuen Mieter auf Spurensuche, wollen Berthold das Schild „Hier Badehosen aufhängen“ zeigen. Es ist verschwunden, ebenso wie die altertümliche, fantastische Badeidylle. Die Zukunft gehört Pinsel und Leinwand.