Kriegsende: Wie ein Fürther Arzt zum Helden wurde

30.4.2015, 06:00 Uhr
Kriegsende: Wie ein Fürther Arzt zum Helden wurde

© Foto: FN-Archiv

Herr Frank, ist Fritz Gastreich der eigentliche Held des Kriegsendes?

Frank: Das kann man so sagen. Als Leiter aller Kriegslazarette in der Stadt war er sehr bekannt, und er wusste diese Position zu nutzen. Er versuchte zu verhindern, dass Fürth zum Verteidigungsbollwerk ausgebaut wird, um es ohne weitere Schäden kampflos an die Amerikaner zu übergeben.

Wie wollte er das schaffen?

Frank: In Fürth hatten sich zwei kleine Widerstandsgruppen gebildet. Nachzulesen ist das auch in einem FN-Artikel aus dem Jahr 1955, also zehn Jahre nach Kriegsende. Sie arbeiteten unabhängig voneinander, standen aber durch ihre Anführer in Verbindung. Ihre Decknamen lauteten „Doktor“, das waren Fritz Gastreich und sein Bruder Eugen, und „Obst“, wohinter sich der Obsthändler Josef Gleixner verbarg. Sie standen seit 1944 in Kontakt, im Übrigen auch zu Fürths kommissarischem Oberbürgermeister Karl Häupler.

Wie kommt es, dass Häupler sie nicht als Verräter auffliegen ließ?

Frank: Häupler war ein klassischer Beamter. Natürlich hat er sich angepasst, sonst wäre er nicht in diese Position gekommen, unter anderem war er Mitglied in der SS, das aber nur nominell. Er war kein überzeugter Nazi. Das zeigt sich auch darin, dass Gauleiter Karl Holz sehr schlecht über Häupler sprach.

Welche Rolle spielten bei den Planungen die Lazarette, die Gastreich betreute?

Frank: Eine große! Das vergleichsweise wenig zerstörte Fürth war voller Verwundeter. Alle Schulen, auch das Waisenhaus dienten als Krankenlager und beherbergten im April 3000 Menschen. Das alles gehörte zum Plan der Widerstandsgruppen. Mit den Verwundeten als gewichtigem Argument wollten sie verhindern, dass in Fürth bis zur letzten Patrone gekämpft wird. Ein Befehl, sie bis auf 300 Schwerstverletzte abzutransportieren, wurde daher sabotiert.

Im April 1945 erreichten die Amerikaner Fürth. Was taten Gastreich und Gleixner?

Frank: Sie hatten schon Wochen vor der Übergabe vereinbart, nichts ohne das Wissen des anderen zu unternehmen. Herr „Obst“ kam fast jeden Abend in Gastreichs Wohnung. Den Kampfkommandanten Major Flierl und den Kreisleiter ließen sie überwachen – über einen Stabsarzt aus Flierls Umfeld. Außerdem dehnten sie den Widerstand aus, um die Kampfhandlungen zu verkürzen.

Wie genau?

Kriegsende: Wie ein Fürther Arzt zum Helden wurde

Frank: Gleixners Gruppe „Obst“ entfernte Sprengladungen von den Brücken, jedoch vergeblich. Sie wurden später dennoch in die Luft gejagt. Gleixners Schwiegertochter Irene schildert in ihren Aufzeichnungen, dass Gastreich stapelweise Betttücher vorbeibrachte, die sie zu Kapitulationsfahnen zusammennähte. Noch wichtiger: Gleixner trennte die Telefonverbindung der Kampfkommandantur nach Nürnberg, wodurch keine neuen Durchhaltebefehle nach Fürth drangen. In der Nacht zum 19. April setzten sich dann Major Flierl und seine Männer ab. Gastreich fuhr mit seinem Motorrad die letzten verbliebenen Posten ab. Seine Botschaft: Kampf ist sinnlos, sogar euer Chef ist schon geflüchtet.

Am nächsten Morgen standen die Amerikaner in der Altstadt. Ein Bote brachte Oberbürgermeister Häupler in ein Haus in der früheren Rednitzstraße zu einem US-Offizier, wo die Kapitulationsurkunde bereitlag. War es die logische Konsequenz, dass Gastreich bei dem Gespräch dabei war?

Frank: Ja. Aus seinen eigenen Aufzeichnungen geht hervor, dass man ihn gerade hinzurief, als die Verhandlungen ins Stocken geraten waren. Häupler zögerte mit der Unterschrift, offenbar fürchtete er Racheakte der Nazis gegen sich und seine Familie, die sich im noch nicht befreiten Allgäu aufhielt.

Was tat Gastreich?

Frank: Er soll Häupler einen Stoß gegeben haben, und dem US-Kommandanten sagte er, er solle ihm das Hissen der weißen Fahnen überlassen. Gastreich wusste ja, dass Gleixner die Fahne fürs Rathaus vorbereitet hatte. Häupler unterschrieb schließlich. Sie vereinbarten, dass städtische Referenten im offenen Wagen mit den Amerikanern durch die Stadt fahren sollten, um der Bevölkerung die Bedingungen der Kapitulation zu verkünden. Gastreich übernahm diese Aufgabe für den Bereich zwischen Rathaus und östlicher Stadtgrenze. Laut der Augenzeugin Betty Heckl fuhr er auf einem US-Panzer sitzend die Nürnberger Straße hoch.

Wie ging es mit ihm weiter?

Frank: Gastreich arbeitete mit dem CIC, dem militärischen Nachrichtendienst der Amerikaner, zusammen. Er und Gleixner übergaben eine Liste von aktiven Fürther Nationalsozialisten. Politisch engagierte er sich nicht. Er führte seine Privatklinik an der Ecke von Luisen- und Königswarterstraße weiter, bis er sie 1958 an Dr. Stutzbach übergab. Danach zog er nach München. Gastreich starb Ende Dezember 1979, seine Urne wurde in Fürth beigesetzt. Zu Lebzeiten war es zu keiner Ehrung durch die Stadt gekommen, aber seit 1980 trägt eine Straße in Ronhof seinen Namen.

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