Kunst in Auferstehung: Ein Tag im Leben von 70 Freundinnen

4.3.2015, 14:00 Uhr
Kunst in Auferstehung: Ein Tag im Leben von 70 Freundinnen

© Foto: Thomas Scherer

Normalerweise liegen in Kirchenbänken Gesangbücher. Diesmal aber liegt ganz andere Literatur aus, querbeet durch den belletristischen Gemüsegarten. Das reicht vom Jugendbuch (Karl May, Enid Blyton, Michael Ende) über die Klassiker (Josef von Eichendorff) und die üblichen Verdächtigen (Hermann Hesse, Günter Grass, Heinrich Böll) bis zu Isabel Allende und Johannes Mario Simmel. Wer es gern sachlich wünscht, der kann sich an Karl Marx' „Kapital“ die Zähne ausbeißen oder sich an einem Nachdruck feministischer Schriften aus dem Jahr 1905 weiden.

Mit der Lektüre ist es allerdings nicht weit her. Klappt man ein Buch auf, so stellt man fest, dass manche Seiten zusammenkleben. Wer blättert, dem blinkt ein fragendes Auge entgegen oder eine fettige Nase. Dann die Erkenntnis: In jedes Buch ist ein Damentaschenspiegel einmontiert. So, wie die Mama einst ihrem missratenen Sohn im Zuchthaus eine Feile eingeschmuggelt hatte, so höhlt die Fürther Architektin und Objektkünstlerin Petra Schleifenheimer Bücher aus ihrem Privatbesitz aus und versenkt Taschenspiegelchen für die Dame von Welt darin.

Und was gibt es da zu bestaunen: zierliche ovale Spiegel mit Griff, simple Rechtecke, Rundspiegel, ein aufklappbares Set mit zwei Vergrößerungsspiegeln. Wie Madame im Erfrischungsraum des Opernhauses nochmal auf Nummer sicher geht, ob das Make-up nicht blättert, so kann sich der Betrachter nun an den Bartstoppeln seines unrasierten Kinns erfreuen. Erhebend? Nun ja: Solche Damenspiegel betonen den kritischen Blick, nicht die ästhetische Gesamtschau. Was hat das nun mit Literatur zu tun? Literatur dient nicht nur der Unterhaltung, sie fördert das kritische Denken, wartet mit Erkenntnissen auf und dient sogar der Selbsterkenntnis. Also ein kritischer Blick ins Innere mittels des Wortes.

Alle Spiegel haben eine Geschichte, sie stammen aus dem Privatbesitz von Petra Schleifenheimers Freundinnen. Jeder Spiegel trägt ein Datum, die Zeit reicht von den fünfziger Jahren bis zur Gegenwart. Was das für ein Tag im Leben einer Freundin war, erfährt man nicht, man darf also spekulieren.

Ideale Spielwiese

70 Bücher liegen in der Kirche aus, 70 Bücher umfasst auch die Bibel. Das ist kein Zufall, sondern Absicht. Man könnte nun jedes Buch einer biblischen Schrift zuordnen — aber bringt das was? Eine andere Spur liegt im Katalog aus: Petra Schleifenheimer hat die Objekte nicht willkürlich in den Büchern versenkt, sondern an einer bestimmten Seite begonnen. Die ausgeschnittenen Textfragmente, an deren Stelle die Spiegel blinken, finden sich in dem Katalog wieder. Da ist zum Beispiel dieser Passus: „Der beleuchtete Vergrößerungsspiegel war eine ideale Spielwiese. Kurz und gut — dieser Spiegel diente eher einem dubiosen Freizeitvergnügen als einem wichtigen Zweck.“

Umrahmt war die Vernissage mit dem Auftakt zur Konzertreihe „Musik zur Passion“ und der Aufführung zweier Klavierfantasien zu vier Händen von Mozart und Schubert sowie zweier Nocturnes von Maria Szymanowska und Fanny Mendelssohn. Beide Fantasien sind Spätwerke aus dem letzten Lebensjahr der Komponisten, stehen in f-Moll und ziehen so etwas wie eine endgültige Bilanz, sind also Pendants. Kantorin KMD Sirka Schwartz-Uppendieck und Karen Haardt musizierten mit Verve und Elan. Dass sie darüber bei Mozart einmal den Anschluss verloren, darüber drückt die Gemeinde beide Augen zu. Mit Mendelssohn und der zu ihrer Zeit hochberühmten Virtuosin Szymanowska hatte Schwartz-Uppendieck wieder zwei übersehene Schmuckstücke aus der Schublade geholt.

Und wie die Puppe in der Puppe, so waren Musik, Installation und Literatur ineinander verschachtelt: Erst folgte Mozarts Sonate, dann Szymanowskas Nocturne. Im Zentrum der Aufführung stand ein Vortrag von Thomas Reher über Schleifenmachers Installation. Dann Mendelssohns Nocturne, den Abschluss bildete Schubert. Wobei Michael Herrschel zu jedem Musikstück noch literarische Querverweise zog. Das nennt man dann ein ästhetisches Spiegelkabinett der Künste.

*Zur zweiten Passionsmusik erklingt am 14. März ab 18 Uhr die große Walcker-Orgel von St. Paul (Amalienstraße 64). Kevin Wagner, der an der Musikhochschule in Bayreuth Improvisation und Literaturspiel studiert, spielt Werke von Bach (Präludium und Fuge c-Moll), Buxtehude (Toccata d-Moll) und Reger. Darauf lässt er freie Improvisationen in verschiedenen Stilrichtungen folgen.

Am 28. März um 18 Uhr dreht sich in St. Michael (Kirchenplatz) alles um das Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“ mit Werken von Bach, Brahms, Uwe Strübing (mit seinem 2001 in St. Michael uraufgeführten „Il canto rovinato“, in dessen Verlauf Johann Sebastian Bachs Satz zu „O Haupt voll Blut und Wunden“ auf der Orgel zunehmend verändert wird) und Lilo Kunkel. KMD Ingeborg Schilffarth singt im Zusammenspiel mit Dieter Krefis an der Oboe und KMD Sirka Schwartz-Uppendieck an der Orgel. Der Eintritt ist jeweils frei.

„Im Spiegel des Augenblicks“: Auferstehungskirche im Stadtpark, Nürnberger Straße 15. Täglich 10-18 Uhr. Bis 4. April.

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