Kurzfilm mit Fürther Know-How

16.5.2017, 12:00 Uhr
Kurzfilm mit Fürther Know-How

© Foto: Tim Händel

Was sieht man, wenn man ein Stück Stoff unter der Lupe anschaut? Verwobene Fäden, die irgendwo wie zufällig anfangen und aufhören und zusammengehören, weil sie zusammen ein reizvolles Kleidungsstück sind, ohne dass auch nur ein Faden reizvoll oder kleidsam wäre.

Bei einem Sektempfang unter dem Leuchtschriftzug des Nürnberger KommKinos im Künstlerhaus ist man dieser Tage nun angelangt, weil verschiedene Ereignisse und Personen sich gekreuzt haben wie Fäden und sie einen Film gewoben haben wie einen Stoff unter der Lupe. Am Webstuhl sitzt "Diddi" Meyer, ein Zwanzigjähriger mit vermeintlich biederem Hemd und langen Haaren, dem eine übergroße Nickelbrille direkt aus den Achtzigern auf die Nase geflogen scheint und der sich damit gar nicht schlecht ins Stereotyp des Theater- und Medienwissenschaftsstudenten einfügt, der er tatsächlich ist.

Mit Sektgläsern also trifft man sich, weil Meyer im Theater Jugend Club des Stadttheaters Fürth aktiv war, sich dann zum Filmischen vortastete und beim Fürther Jugendprojekt easYoung-TV Tim Händel kennenlernte, Designstudent in Nürnberg. Weil nach dem Abitur für eine Bewerbungsmappe die Zeit fehlte und er an der Uni Erlangen landete. Weil er dann einen Kurzfilm drehte und ihn nach der Premiere beim Nürnberger Jugendfilmfestival der junge Tontechniker George May ansprach. Weil dann vor einem Jahr am Vorabend der Anmeldefrist für ein Filmregie-Seminar ein Exposé noch fehlte und Meyer im Reservoir des eigenen Hinterkopfs eine Kurzgeschichte fand.

Vier Drehtage

Die geht so: Ein Einzelgänger hat eine Affäre mit der Frau seines Nachbarn. Der Nachbar lädt ihn eines Abends zum Smalltalk ein und enthüllt ihm, dass er seine Frau einer anderen entdeckten Affäre wegen umgebracht hat. Das Ganze durchzogen von surrealistischer Komik. Aus dem Exposé wurde ein privates Filmvorhaben, aus Händel der Kameramann, aus May der Tontechniker und Musikproduzent. In vier Drehtagen verarbeitet Meyer Ideen und Konzept, Händel und May machen durch technisches Know-How mit ihm eine Stunde Film daraus. Am Ende also steht man im Foyer des KommKinos.

Und so, wie man nicht weiß, ob man Meyers Auftreten nun kontrastiert individualistisch oder gerade deswegen konform finden soll, so scheint es manchmal auch mit diesem Film zu sein: Ein Skeptiker könnte sagen, dass eine absurd witzige Beziehungsgeschichte mit essayistischen Monologfragmenten zwar zutreffender, aber doch auch gängiger Gesellschaftskritik durch den postmodernen Verfremdungsfleischwolf gedreht wurde, dessen sich seit langem jedes Provinztheater zu Zwecken lustvoller Dekonstruktion bedient: Neu durch Form ist nicht mehr neu.

Ein Fürsprecher Meyers könnte sagen, dass solche Kritik allein vom Unvermögen zeugt, die Ästhetik solcher Regiekonzepte zu begreifen. Ihre Wirkung entfaltet sich schließlich im Kopf jedes einzelnen Zuschauers. Wo einzelne Elemente nur dadurch zusammengehören, dass sie nun einmal zu einem Film zusammengefügt wurden, entstehen Spielräume für Bedeutungen: Der Zuschauer, der nach Sinn sucht, wird in der Schwebe gehalten. Er muss sich auf diese Unbestimmtheit einlassen, die Unbequemlichkeit, selbst denken zu müssen, annehmen.

Die Spielräume darf er jedoch selbst ausfüllen, er darf Symbole gedanklich drehen und wenden und lässt so den Film als ein Ereignis entstehen, dass sich individuell entfaltet. Unverbundene Fäden drängen sich in ein dichtes Gewebe. In den Worten Meyers, als er nach letztem Bild und Applaus vor der Leinwand steht: "Ich hoffe, ein paar Leute haben verstanden, worum es ging. Wenn nicht, ist’s auch nicht so schlimm."

Als sich der Vorhang schließt, sind viele Fäden wie zufällig verwoben zu etwas Neuem. Der eine Stoff, das sind die zarten Keime dreier kreativer Karrieren. Der andere Stoff ist ein Film, der einen diese Karrieren für aussichtsreich halten lässt. Meyer webt jetzt mal am nächsten Drehbuch.

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