Langenzenns "Luther" ist ein prächtiges Spektakel

6.6.2017, 13:50 Uhr
Langenzenns

© Foto: Hans Esterl

Und wieder folgen sie ihm, dem wortmächtigen Martin Luther, dem Gottsucher, Zweifler, Kritiker, Umstürzer. Ein Spiel ist es diesmal, das die Zuschauer von der Langenzenner Stadtkirche auf den Martin-Luther-Platz und zum Kreuzgang im einstigen Kloster der Augustiner-Chorherren führt. Ein spannungsreiches und sehr unterhaltsames Unternehmen, das in gut dreieinhalb Stunden vorführt, wie ein Mönch im frühen 16. Jahrhundert so durchschlagend in die Geschichte eingreifen konnte, dass uns die Folgen bis heute beschäftigen.

Ein gewaltiges Vorhaben? Ja, fraglos. Überhaupt ist alles an diesem Schauspiel in großen Einheiten bemessen. Die Zahl der (Laien)-Akteure zum Beispiel, 120 große und kleine Rollen gibt es. Respekt vorneweg schon einmal allein für die organisatorische Leistung von Gabriele Küffner (Konzept, Text und Regie), die jeden zu jederzeit hochmotiviert am exakten rechten Ort auftauchen lässt und dabei den Blick auf das große Ganze behält.

Stimmungsvoller Einstieg

Die Zuschauer bekommen von den planerischen Finessen wenig mit. Sie erleben einen Einstieg in den Abend, wie er stimmungsvoller kaum sein könnte. Im dämmrigen Gotteshaus beginnt Luthers Weg: Sein Eintritt ins Kloster, der Streit mit dem Vater, der anderes vom Sohn erhoffte. Die marternde Gottessuche des jungen Mannes. Zugleich öffnet sich für das Publikum der Blick auf die Glaubenswelt jener Zeit. Angst vor Fegefeuer und Verdammnis vergiften das Erdendasein der Gläubigen. Wie sehr, das macht die großartige Videoinstallation von Christoph Drews anschaulich, die die Kirche minutenlang zur wahrhaftigen Vorhölle werden lässt. Zum Höhepunkt wird in dieser ersten Sequenz das "Dies Irae" von Monika Roscher. Die junge Komponistin aus Langenzenn hat ein beeindruckendes Chorwerk geschaffen, das aus der Tradition heraus mitreißend ins Heute führt.

Wenn sich die Kirchenpforte öffnet, wartet das pralle Leben auf dem mittelalterlich nachempfundenen Markt, der von Gauklern bevölkert und mit Verkaufsständen bestückt ist. Das ist die Bühne für Johann Tetzel, den Ablassprediger, dessen Rhetorik bis heute jeden Marketingmenschen vor Neid erblassen lassen muss und dem Klaus Roscher (zugleich Produktionsleiter) nachdrücklich Gestalt verleiht. Er macht deutlich, warum Psychoterror als Geschäftsmodell funktionieren konnte und weshalb gepeinigte Christenmenschen nur zu bereitwillig ihr Seelenheil mit den letzten Groschen erkaufen wollten.

Zum Feilschen um Gnade fallen Luther bekanntlich 95 Antithesen ein. Es gehört zu den ganz großen Pluspunkten dieser Inszenierung, dass Gabriele Küffner geläufigem Geschichtskitsch eine Absage erteilt und nicht nur den Hammer im Werkzeugkasten belässt. Kein theatralischer Thesenanschlag wird in Szene gesetzt, keine der anderen Luther-Legenden zur Schau gestellt. Stattdessen geht es im Klosterhof weiter mit einem sehr komplexen Durchlauf der reformatorischen Chronologie.

Drei Narren als Wegweiser

Die Phase zwischen Luthers Promotion 1511 bis zu seiner Ehe mit Katharina von Bora 1525 muss zwangsläufig wie im Zeitraffer erscheinen, ohne dabei die Vielschichtigkeit des Themas in allen Zusammenhängen erfassen zu können. Dennoch gelingen starke Szenen, die exemplarisch einzelne Aspekte herausheben. Besonders ausdrucksstark glückt das unter anderem, wenn es darum geht, die Realität derer widerzuspiegeln, die täglich um ihr Überleben kämpfen müssen.

Den Durchblick in diesem voluminösen historischen Kaleidoskop behalten drei Narren, die Küffner geschaffen hat, damit sie als Wegweiser und Erklärer fungieren. Roland Schönfelder, Rudolf Kelchner und Sonja Soydan übernehmen diesen Part und vor allem Soydan macht daraus eine tolle Rolle. Ihr Witz und ihr fränkischer Ur-Ton frischen den Stoff auf, der hin und wieder leicht an längst vergessene Religionsstunden gemahnt. Felix Reimann gelingt es, die Fülle des Spiel-Materials zusammenzuhalten. Er ist ein Martin Luther, dem man bereitwillig alles abnimmt. Den Zweifel und den Zorn, die Wut und die Verzagtheit. Wobei es ihm in diesem Spiel freilich erspart wird, seinen Hass gegen Juden und Frauen aufzudecken. Nur einmal scheint diese Seite auf, als er aus dem Off gegen die aufständischen Bauern wettert.

So bleibt dieser Langenzenner Luther ein nahezu makelloser Held, ein Jahrhundert-Mensch mit Folgen. Das Spektakel, das seinen Namen trägt, ist so oder so ein unbedingt sehenswertes. Strotzend vor Ideenreichtum, prächtig und mit unglaublichem Aufwand in Szene gesetzt. Ein Ereignis mit Nachhall für alle Sinne.

Weitere Termine: 16./17./22./23. Juni, 7./8./9./15./22./23./27./28./29. Juli, jeweils 20 Uhr. Kleine Speisen und Getränke (Backhaus und Häppchenbude) ab 18 Uhr. Karten im FN-Ticket-Point (Schwabacher Straße 106, Tel. 216 2777).

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