Leben in der XXL-Großfamilie in Stein

20.7.2015, 06:00 Uhr
Leben in der XXL-Großfamilie in Stein

© Grafik: Büro „querwärts“

Es gab einige Hürden. Die musste Lieselotte Gräbe zunächst überwinden. Denn das rund 12 000 Quadratmeter große Gelände am Jagdweg war bis zur Entscheidung des KreistagsLandschaftsschut zgebiet. Dieser Status ist nun aufgehoben und damit ist der Weg frei für das Vorhaben, das die Investorin, ihr Architekt Patrick Schreiner und Landschaftsarchitekt Michael Voit „Lebenslinien“ getauft haben.

Grob untergliedert Architekt Schreiner das Baugebiet, mit dem er und sein Kollege sich bereits seit eineinhalb Jahren befassen, in drei Flächen: sechs Einfamilienhäuser, die am Waldrand entstehen sollen, fünf Mehrfamilienhäuser mit Eigentumswohnungen und der südöstlichste Bereich in Richtung Gerasmühle mit dem Mehrgenerationenwohnen. Mit dem Geld, das der Verkauf der Wohnimmobilien bringt, erwirtschaftet sich die Bauherrin Gräbe das Kapital für ihr soziales Lieblingsprojekt, das in den zwei größten Gebäuden auf dem Areal mit Leben erfüllt werden soll.

Anfängliche Skepsis

Lieselotte Gräbe, die eigentlich Krankenschwester ist und keine Expertin fürs Bauen, berichtet von der anfänglichen Skepsis, als sie ihre Idee bei der Stadt Stein vorstellte. Auch Architekt Schreiner, der sich nach eigenen Worten schon seit dem Studium mit dem gemeinsamen Wohnen unterschiedlichster Altersgruppen beschäftigt, hat das so erlebt: „Doch Bürgermeister Krömer hat schnell verstanden, dass Frau Gräbe mit ihrem sozialen Engagement etwas plant, dass das ganze Viertel aufwerten kann.“

Auch die Investorin selbst sagt, sie hätte in Bürgermeister Kurt Krömer und seinem Stellvertreter Bertram Höfer nach ersten Bedenken heute Unterstützer gefunden. In einem städtebaulichen Vertrag zwischen Investorin und Stadt wird neben anderem auch festgehalten, dass an diesem Standort ein soziales Projekt entstehen muss.

Die Gebäude sollen Platz für 40 bis 50 Wohnungen bieten. Rund 80 Menschen können dort ein bis vier Zimmer große Wohnungen mieten. Ein Teil der Wohnungen wird behindertengerecht gebaut; das ganze Areal ist barrierefrei.

Wer hier einzieht, soll nicht nur Miete zahlen und schnell die Tür hinter sich schließen, gesucht werden Mieter, die gerne nehmen und geben in einer sozialen Gemeinschaft. Architekt Schreiner erklärt es bildlich: „Oma Erna backt und kocht. Die Kinder der Nachbarsfamilie freuen sich auf die frischen Mahlzeiten nach der Schule. Ihr Papa erledigt dafür alle Einkäufe, auch für Oma Erna.“

Ein Leben ähnlich dem einer Großfamilie stellt sich die Investorin vor, die selbst in das Haus einziehen wird. Sie möchte dort außerdem eine ambulante Seniorenbetreuung und eine Kindertagesstätte einrichten. Beides steht natürlich für alle interessierten Steiner offen. „Das ist ein Gewinn für das ganze Viertel.“

Toleranz und Rücksicht

Besonders wichtig ist ihr die Auswahl der Mieter. Sie sollten sich bewusst für die Wohnform entscheiden. Wer am Ende einzieht, darüber will sich Lieselotte Gräbe die letzte Entscheidung vorbehalten. Denn natürlich müssen die künftigen Bewohner auch ein gewisses Maß an Toleranz und Rücksichtnahme mitbringen. Wo mehrere Generationen wohnen, da dürfen Kinder und Jugendliche mal lauter sein und so mancher Senior langsamer und umständlicher.

Und auch die Architektur muss einer solche Wohnform angepasst sein. Patrick Schreiner kann hier auf zahlreiche Beispiele verweisen, allerdings keines in der Region und die wenigsten in Deutschland. „Benötigt werden Begegnungsflächen, vielleicht ein Gemüsegarten, Orte, an denen Menschen sich einfach zufällig treffen und miteinander ins Gespräch kommen.“ All das spielt in seiner Planung eine Rolle. Noch sind keine Details vorhanden, die sollen in den kommenden Monaten entwickelt werden, bevor im Laufe des Jahres 2016 Baubeginn ist.

Solche Wohnformen werden angesichts des demografischen Wandels kommen müssen, sagt Architekt Schreiner. Niemand werde sich mehr leisten können, alle alten Menschen in Heimen unterzubringen.

Weshalb sie dennoch kaum angeboten werden, erklärt Landschaftsarchitekt Voit: „Der klassische Bauträger macht damit zu wenig Rendite und die Kommunen haben das Geld für eine solche freiwillige Aufgabe nicht.“

Lieselotte Gräbe, die nun aus ihrem Grundstück Bauland machen konnte, könnte sich auch mit dem Kapitalerträgen zur Ruhe setzen: „Das will ich doch gar nicht. Ich möchte etwas voranbringen und weiterarbeiten.“ Ihre Vision des Mehrgenerationenwohnens möchte sie gerne den Steinern näher bringen, auch denen, die zunächst gegen das Projekt protestierten. Sie plant dazu eine Infoversammlung.

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