Lebenskünstler statt Medizinmänner

6.11.2013, 18:00 Uhr
Lebenskünstler statt Medizinmänner

© Joachim Sobczyk

Skandale provozieren Kunst. Aber es geht auch umgekehrt. Manchmal platzt der Skandal passend zur Vollendung eines Kunstwerks und rollt ihm den roten Teppich aus. Was aber nicht heißt, dass beide zusammenkommen.

Im Frühjahr 2013 flanierte die Fürther Malerin Corinna Smok durch die Fußgängerzone und studierte Bettler und ihre provozierende oder auch still duldende Gestik. Und dazu die Haltung der Passanten zwischen Erbarmen, Herablassung, Gleichgültigkeit und Verachtung.

Wie war das nochmal mit dem schlechten Gewissen, dem Moralkatalog und dem christlichen Ethos? Und wie war das mit dem Ausgenutztwerden? Schließlich griff Corinna Smok auf das alte Sujet des Tafelgemäldes zurück und schuf ein Triptychon, den „Tafelaltar“. Den Namen wählte sie in bewusster Anspielung auf die „Fürther Tafel“.

Der Altar zeigt in der Mitteltafel vier gutsituierte Passanten, auf den Seitenflügeln zwei kniende Bettler in devot-fordernder Stellung. Über der Mitteltafel schwebt von der Decke eine umgekehrte Predella: Sie zeigt Gottvater mit strengem Blick und dem Katalog der sieben Todsünden. Beim Nachzählen fällt auf: Es fehlt eine Sünde – ausgerechnet der Zorn.

Das ist nur eine der vielen Fährten, die Corinna Smok auslegt. Denn da irritiert die Farbgebung. Der Tafelaltar schaut aus wie im Rohzustand, lediglich Kohlezeichnung auf weißem Acrylgrund und rosa Farbflächen, die die Bettler charakterisieren. Pfeile, die den Bettlern zugeordnet sind, weisen nach unten in die Tiefe. Pfeile, die nach oben deuten, weisen über Gott hinaus. Gibt es also ein Ethos des Mitleids, das nicht unbedingt religiös begründet sein muss?

Neue Situation


Und dann platzt der Skandal um die überteure Limburger Bischofsresidenz hinein. Corinna Smok benennt ihr Werk um in „Limburg ist überall - Tafelaltar“ und will es auf dem Limburger Domplatz aufstellen. Doch sie wird gewarnt: „Dort stehen überall Sicherheitsleute herum“, erzählt die Künstlerin. Die Stadt Limburg könnte eine Genehmigung erteilen, doch sie mauert. Es gab ja Aktionen wie „Jetzt schlägt’s 13“ beim Mittagläuten oder die Installation eines Lichtkünstlers nachts am Dom. Aber das sind Aktionen, die man nur bei Nacht und Nebel ausführen kann. Nun überlegt die Künstlerin, ihren Tafelaltar woanders aufzustellen.

Ingrid Riedl hingegen beschäftigen andere Dinge. Falten, Furchen und Runzeln, die ein langes Leben mit sich bringt und die Gesichtslandschaften geradezu topographisch gestalten. Ihre Zeichnungen hochbetagter Menschen im Pflegeheim strahlen etwas aus, was über die Charakterisierung der jeweiligen Porträtierten hinausgeht. „Die Gesichter stehen eigentlich eher für das, was sie mir bei der Begegnung vermittelt haben, als dass sie die jeweiligen Personen charakterisieren“, meint Ingrid Riedl.

Eine Ausnahme

Künstler sind ein argwöhnisches Volk. Unvollendete Sachen wollen sie nicht zeigen. Ingrid Riedl ist eine Ausnahme. Gerne zieht sie ihr Aktgemälde „Bereit“ hervor, eine Frau aus extremer Untersicht, als ob sie auf dem Dreimeterbrett stünde. Zuerst fällt ihr großer Zeh auf, dann der Fuß, die Beine, Bauch, Brüste, endlich langt der Blick bei Kinn und Nasenspitze an. Und nun? Ach, da soll noch eine Figur her?

Von anderswoher dringen seltsame Geräusche an das Ohr. Es hört sich an, als ob jemand Schlagzeug übt. Es ist Günther Schulte, der mit Tennisbällen jongliert und sie auf ein „Jonglophon“ schleudert. Dies ist eine Fläche mit neun Platten und zwei zusätzlichen hängenden Platten. Jede ist auf ein bestimmtes Geräusch eingestellt. Mit seiner Jonglage macht Günther Schulte Musik: „Im Grunde funktioniert das Jonglophon wie ein elektrisches Schlagzeug, nur dass ich mit Tennisbällen arbeite.“ Als ausgebildeter Pantomime kommt man heute mit Jonglage und Mimik allein nicht weiter, darum braucht es technische Hilfsmittel. Wie etwa den Cyberkoffer, der die Illusion eines tragbaren Röntgenschirms oder eines virtuellen Lesegeräts erzeugt. Absolut zirkusreif. Tatsächlich verdient Günter Schulte seine Brötchen bei Firmenfeiern.

 

Angenehme Kollegialität



Was hat denn das mit Kunst zu tun? Mehr als gedacht. Lutz Krutein, Organisator des Tags der offenen Tür im Clinc, beurteilt die Lage so: „Wir haben hier eine bunte Mischung aus bildenden Künstlern und Kreativen, also Programmierern, Lichtkünstlern, Software-Designern und Kunst-Therapeuten. Sind dagegen bildende Künstler alleine unter sich, kommt schnell der Konkurrenzdruck auf, so aber herrscht eine angenehme Kollegialität, und die Fluktuation ist extrem gering. In zwei Jahren ist nur eine Künstlerin ausgezogen.“

Und wie arbeitet es sich in einer stillgelegten Kinderklinik? „Am Anfang herrschte schon ein komisches Gefühl“, räumt Lutz Krutein offen ein, „in den oberen Stockwerken duftete es noch nach Pipi und Penatencreme. Aber wir Künstler haben das Flair entscheidend gewandelt.“
 

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