Mädelsabend oder Männerrunde: Wer jubelt besser?

29.6.2014, 21:00 Uhr
Mädelsabend oder Männerrunde: Wer jubelt besser?

© Alexander Pfaehler

((Platzhalter))Dreißig Minuten bis zum Anpfiff. Mädchen mit schwarz-rot-goldenen Hasenohren auf dem Kopf laufen Richtung Stadtmitte. Im „Fifties Inn“ in der Königstraße begrüßt Katja Scharditzky gut gelaunt die Gäste. In ihrer „American Sportsbar“ treffen sich in diesem Moment überwiegend Männer. Gerade einmal eine Frau gesellt sich zunächst dazu. „Schade, dass das heute schon so früh angeht“, bedauert die Wirtin, „viele Stammkunden sind noch auf der Arbeit.“

Es ist eine vertraute Runde, die sich jetzt auf den Auftritt von Jogis Jungs konzentriert. Man kennt sich, tauscht sich kurz aus. Auf jedem der vier Bildschirme im Lokal ist inzwischen die Mannschaftsaufstellung zu sehen. Am Tresen klappt Roman Rubin seinen Laptop zu und geht. Was, jetzt? Der 34-jährige Fotograf beruhigt. „Ich lauf’ rüber zu meiner Freundin und guck’ mit ihr zusammen.“

Nach einer Umfrage, die passenderweise von einer Partnerschaftsbörse in Auftrag gegeben wurde, schaut übrigens eine klare Mehrheit von 86 Prozent der deutschen Männer Fußball am liebsten zusammen mit Frauen. „Das stört doch eigentlich auch nicht“, kommentiert Rainer Gumbrecht die Frage nach weiblichen Mitsehern gelassen.

Chicken Wings zum Frühstück

Die Männer am Tresen und an den Tischen haben Weißbier, Grüner oder Wasser in Griffweite. Fan-Abzeichen, Fahnen oder Bemalung trägt keiner. Das Spiel läuft seit acht Minuten. Müller ist gerade zum zweiten Mal an einer verheißungsvollen Flanke vorbeigerutscht. Rainer Weidner geht eine rauchen. Nervös? „Nein, gar nicht. Das gewinnen wir locker.“

Auf der Königstraße laufen Schliemann-Schüler in Richtung Stadttheater zum Sommerkonzert. Ein Junge im schwarzen Anzug steckt den Kopf ins „Fifties Inn“. „Wie steht’s?“ Er erntet Mitgefühl. „Der würd‘ jetzt gern hierbleiben, wetten? Armer Kerl.“

Im Regen von Recife werden die Nerven der Männer in Fürth noch nicht über Gebühr strapaziert. Rainer Weidner füttert kurz einen Spielautomaten. Das Gerät meldet ein Freispiel. Hinschauen kann da gerade keiner, die Klinsmänner riskieren den ersten ernsthaften Vorstoß. „Ach na, warum war denn in der Mitte keiner?“

Zur Halbzeitpause stärkt sich Andreas Schiffmann mit – Chicken Wings. Ja was denn sonst? „Das hier ist quasi mein Frühstück“, grinst der 46-Jährige. Er habe am Morgen früher angefangen, damit er pünktlich da sein kann. Der Goldschmied aus Nürnberg verrät ein Geheimnis, das jeder der Umstehenden kennt: „Ich bin hier in diesem Spielvereinigungs-Laden einer von zwei Clubberen, die akzeptiert werden.“ Er lacht: „Kostet mich von Zeit zu Zeit das eine oder andere Ablass-Bier.“

Bevor es weitergeht, bitte noch eine Antwort auf die Frage, warum Fußball in einer gemütlichen Kneipe so viel mehr Spaß macht? „Das ist doch klar, gemeinsam blöken tut gut“, versichern die Männer. „Zuhause kann man gar nicht so laut und ungestört abgehen wie hier.“

Wie das klingt, wird dann in der 55. Minute demonstriert. Müller hat getroffen. „Allmächd! Ja! Boah!“ Der Rest des Spiels dümpelt nicht ganz so aufregend dahin. „Zieht doch mal durch“, rät Rainer Weidner. Nutzt leider nichts. Dafür freut sich Katja Scharditzky und präsentiert strahlend ihren Tippzettel, auf dem sie zuvor fein säuberlich 0 : 1 notiert hat. Jeder der Gäste durfte anfangs so einen Schein ausfüllen, wer richtig liegt, bekommt ein Bier von der 40 Jahre alten Wirtin. Die hat an ihrem Gewinn wenig Spaß: „Ich trink‘ doch gar kein Bier.“ Macht aber nichts. Stattdessen reißt sie die Arme hoch und ruft: „So sehen Sieger aus.“ Man stimmt ihr zu.

Drei Zutaten braucht man für den Deutschland-Schnaps, den Regina Müller für ihre Fußballkolleginnen vom TSV Sack gemixt hat: Schwarzen Wodka (naturgemäß rabenschwarz), Erdbeer-Limes (saftig-rot) und Passionsfrucht-Limes (mit viel gutem Willen: gold). Die Farben vermischen sich im Glas nicht und so strahlt der Drink in den gleichen Tönen wie eine Fanmeile beim Halbfinale. Und schmeckt viel süßer als ein Pils.

 

Es ist Donnerstagabend, 18 Uhr, auf den Fürther Straßen stehen sich die Autos gegenseitig im Weg, weil alle zum Spiel zuhause sein wollen. In Vach, wo Regina Müller wohnt, genehmigen sich die Mädels einen Schluck Schwarz-Rot-Gold. Gelassenheit antrinken.

Es ist eine eingeschworene Truppe, für die Regina Müller in einem kleinen Pavillon im Garten vor ihrem Haus vier Bierbänke vor der Leinwand aufgebaut hat. Ein paar Männer sind auch da, sie werden auf die Hinterbank verbannt. Die neun Frauen sitzen vorne. Alles ist vorbereitet: die Deutschland-Blumenketten und die Deutschland-Rasseln, die Deutschland-Fahnen und die Deutschland-Farben auf den Backen, die Deutschland-Hüte und die Deutschland-Perücke. Letztere kommt nur kurz zum Einsatz. Sie juckt nämlich.

Die Mädels vom TSV Sack spielen in der Kreisliga. Am letzten Spieltag sind sie dem Abstieg entronnen — ein 1:1 gegen den VfL Ehingen reichte. Gastgeberin Regina Müller hat in dem dramatischen Abstiegs-Krimi das entscheidende Tor geschossen.

Das Spiel der Nationalmannschaft plätschert dagegen vor sich hin, die Deutschen spielen zu viele Fehlpässe, die Mädels schlagen mit der Hand gegen die Stirn: „Das ist so mutlos!“

Auch in der zweiten Halbzeit wird die Partie nicht besser — die Gespräche schweifen ab. Streitthema: Cristiano Ronaldo. „Ich mag ihn ja auch net, aber schö is er scho“, findet Ann-Kathrin Fritz, die Co-Trainerin der Sacker Mädels. „So ein Schnösel“, hält Theresa Schröder dagegen Das letzte Wort hat Tanja Reinhardt, die ihre Karriere gerade beendet hat: „Des is scho a Schneggerle.“

Tanja Reinhardt blickt auf 25 Jahre Fußball zurück, mit drei Jahren hat sie das Kicken angefangen. Ihr Lieblingsspieler ist nicht Ronaldo, sondern: Michael Ballack. „Das war noch ein echter Kerl. Eine Führungspersönlichkeit.“ Solche fehlen der heutigen Nationalmannschaft, zumindest wird ihr das immer vorgeworfen. „Naja“, meint Reinhardt, „Schweinsteiger und Lahm gehen schon voran, das muss man fairerweise sagen.“ Den seriösesten Favoriten hat Co-Trainerin Fritz: „Philipp Lahm ist so ein ruhiger Spieler, der immer sicher ist.“

Dann macht Müller das Tor. Großes Bohei: Wer hat beim Tipp-Spiel auf ein 1:0 gesetzt? Es ist Regina Müller. Der Jubelschrei ist lauter als beim deutschen Treffer.

Die USA versuchen dagegen zu halten, stellen sich aber, nun ja, an wie eine Frauenmannschaft. Analysieren zumindest die Expertinnen. Als US-Boy Graham Zusi eine Ecke tritt, die selbst der nicht gerade groß gewachsene Philipp Lahm wegköpfen kann, rutscht es Ann-Kathrin Fritz heraus: „Wie bei den Damen!“. Die Erklärung liefert sie prompt nach: „Bei vielen Frauenmannschaften werden die Ecken ans Fünfereck getreten, weil die Kraft fehlt. Da genügt es, wenn sich da jemand hinstellt.“

Kurz vor Ende beginnen die Mädels noch eine kleine Schlussoffensive: Sie pusten in ihre Trillerpfeifen, rattern mit ihren Klatschehänden aus Plastik und setzen Perücke und Cowboy-Hut auf. Auf der Leinwand brüllt Jogi Löw seine Spieler an. „Uiuiuiui, dabei wirkt der doch immer so nett.“

Am Ende gibt es höflichen Applaus für die DFB-Elf. Die Bilanz des Abends: Eine Flasche Erdbeersekt, drei Flaschen Hugo und eine Flasche Johannisbeersekt. Und viel Gelächter. Auch die Deutschland-Schnäpse sind alle. „Wir trinken eigentlich nach jedem Tor einen“, sagt Regina Müller. Acht Schnäpse, schätzt sie, müssen sie während der WM noch trinken. Dann wäre Deutschland Weltmeister.

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