Mein Sohn und die Gurkentruppe

15.7.2014, 09:56 Uhr
In fußballerischen und pädagogischen Nöten: Matthias Kröner.

© De Geare In fußballerischen und pädagogischen Nöten: Matthias Kröner.

Jeden Samstag schwärme ich Emil vom Fußball vor, vom FCN, meinem Verein, dem ruhmreichen Club aus Nürnberg. Wir schauen manchmal die Sportschau an oder verfolgen die Live-Übertragungen im Radio. Emil ist vier und sehr schnell entflammbar; wenn ich jubele, jubelt er mit. Wenn ich ihm sage, dass wir die Jungs in den schwarz-roten Trikots gut finden, ist er selbstverständlich dabei.

Allerdings ist das mit dem Ruhmreichtum so eine Sache. Kurz vor der Jahrtausendwende gelang es meinem Verein, aus gesicherter Position doch noch abzusteigen. An jenem Samstagnachmittag war ich im Stadion und sah harte Männer weinen. Auch in der vergangenen Spielzeit hat es wieder geklappt, Teil von etwas historisch Großem zu sein. Welcher Fußballanhänger kann schon von sich behaupten, eine komplette Vorrunde ohne Sieg erlebt zu haben?! Das ist ein Rekord für die Ewigkeit – und führt mich zu meinem Dilemma: Ist es verantwortungsbewusst, seinen Sohn für eine solche Gurkentruppe zu begeistern, einen Fußballclub, der es geschafft hat, als amtierender Meister (1968) und Pokalsieger (2007) abzusteigen? – Doch, das ist eine schwerwiegende Entscheidung! Seinen Partner kann man sich aussuchen und, gegebenenfalls, verlassen. Seinem Fußballverein bleibt man treu, für immer!

Wie löse ich diese Frage? Zumal durch die Weltmeisterschaft dieses Thema größer wurde. Spätestens wenn Emil sieben ist, wird er mit seinen Schulfreunden über Fußball reden. Hier im Norden, in der Nähe von Hamburg, Lübeck und Hannover, weit, weit entfernt von Nürnberg. . . Wenn ich mich nicht entscheide, wird er vielleicht ein HSV-Fan, ein Anhänger des VfB Lübeck, ein St. Paulianer oder gar Hannoveraner. Will ich das? Ist es das wirklich wert? Macht einen das Leiden nicht eher stärker? Scheitern als Konzept der Charakterbildung?

Seit ich im zarten Alter von fünf ein 1:4 gegen Mönchengladbach auf den Schultern meines Vaters miterlebte, habe ich durch meinen Verein nämlich auch enorm gewonnen: an Akzeptanz vor den Unwägbarkeiten der Wirklichkeit. Auch meine Frustrationstoleranz ist hoch und wird immer höher – von Saison zu Saison, von Spiel zu Spiel.

Wie langweilig (und wenig persönlichkeitsbildend) muss es dagegen sein, die Spieler des FC Bayern anzufeuern. Immer gewinnen, und dann auch noch haushoch und neuerdings sogar – verdient. . . Wo bleibt da die Herausforderung? Bereits ein Sieg meiner Mannschaft ist in etwa so, wie wenn die Münchener die Champions League einfahren.

Darf ich meinem vierjährigen Sohn einen Fußballverein wie den 1. FC Nürnberg schmackhaft machen? Ich darf nicht, aber ich muss!

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