Moderne Nomaden zwischen Autoscooter und Riesenrad

5.10.2005, 00:00 Uhr
Moderne Nomaden zwischen Autoscooter und Riesenrad

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Früh übt sich. Sharleen (7) und Chantal (11) hängen Plüsch Affen und -Tiger auf und gehen so den Eltern in ihrem Stand „Tütenangeln“ fleißig zur Hand. Für die beiden Mädchen, die gerade erst aus der Schule heimgekommen sind, ist das auch gar nichts Besonderes. Die längste Zeit des Jahres sind Bude und Wohnwagen ihr Zuhause.

Während die Schausteller unterwegs sind, besuchen die Schwestern ständig wechselnde Schulen. Damit sie alles lernen, was der Lehrplan vorsieht, führen sie ein Schultagebuch mit sich, in dem die Lehrer den durchgenommenen Stoff vermerken. An die neugierigen Fragen in den Klassen, die sie nur für ein paar Tage besuchen, sind die Mädchen gewöhnt. „Die wollen immer wissen, wie wir wohnen, welchen Stand wir haben und ob wir umsonst fahren dürfen“, meint Chantal. Freifahrten kriegen sie überall. Das ist so was wie ein ungeschriebenes Gesetz unter den Schaustellern.

Der 25-jährige Andre Distel ist bereits in der sechsten Generation mit seinem „Maiskolben“ auf Achse. Da seine Eltern oft weite Strecken zurücklegen, war er als Kind zusammen mit seiner Schwester Diana zunächst im Internat untergebracht. Als bei der vier Jahre jüngeren Schwester das Heimweh überhand nahm, kümmerten sich zwei Jahre lang unter der Woche Pflegeeltern um die Geschwister. Auch sein elfjähriger Bruder Michael wird momentan von einer Freundin der Mutter betreut. Aber der große Bruder übernimmt das auch sehr gern: „Der Rückhalt in der Familie spielt bei Schaustellern eine wichtige Rolle.“

Während seiner Ausbildung stellte er fest, dass „jeden Tag um sechs Uhr aufstehen und acht Stunden im immer gleichen Betrieb, also ein normales Leben, nichts für ihn ist“. Sein jetziger Beruf ist sehr zeitintensiv, „aber den Stress bei schnellen Ab- und Aufbauten, den Trubel und die ständig wechselnde Umgebung braucht er einfach“. Auch die Besitzer des „Süßen Rathaus“, Friedrich und Siglinde Dobler, sind von ihrem Beruf überzeugt. Von ihren drei Söhnen, Christian (20), Dominik (15) und Marco (11), wird wahrscheinlich nur der Älteste nach seiner Ausbildung ins Schaustellergeschäft einsteigen. Die Eltern wollen aber keinen ihrer Söhne zur Schaustellerei zwingen.

Den Kindern zuliebe haben sich die Eltern dafür entschieden, ihre Buden nur in der näheren Umgebung zu betreiben. So muss die Familie nicht im Wohnwagen leben und zumindest ein Elternteil kann zu Hause nach dem Rechten sehen. Sollte doch mal keine Zeit sein, leisten die Großeltern viel Unterstützungsarbeit. „Wenn Schausteller Eltern sind, müssen sie wahre Organisationstalente sein“, meint die Mutter.

Der Reiz verblasst

In der knapp bemessenen Freizeit versuchen alle, etwas gemeinsam zu unternehmen. Zusammen über eine Kirchweih wird man eine Schaustellerfamilie aber nie schlendern sehen. Ab einem gewissen Alter verblasst der Reiz selbst für die Kinder und die bevorzugen dann das Kino oder Zoobesuche. Denny Morawski (26) war schon von klein auf klar, dass er einmal in die Fußstapfen der Eltern treten wird. Auf der Fürther Kärwa arbeitet die ganze Familie zusammen in der Imbissbude „Zur Theaterschänke“.

Bis auf etwa acht Wochen im Jahr ist er mit verschiedenen mobilen Ständen auf Achse. Ein Leben mit festem Wohnsitz, immer am gleichen Ort, wäre nichts für Denny Morawski. Die Familie hat zwar eine feste Wohnung in Stadeln, aber selbst wenn er im Sommer mal zwei Wochen frei hat, stellt er sich mit seinem Campingwagen lieber in den Vorgarten. Denn im Haus würde ihm nach eigenen Worten „nur die Decke auf den Kopf fallen“.