Musikschule Fürth spielt das Lied vom Zoff

13.10.2017, 11:15 Uhr
Musikschule Fürth spielt das Lied vom Zoff

© Foto: Giulia Iannicelli

Robert Wagner von der Musikschule Fürth, so heißt es in der Begründung, erhalte die Carl-Orff-Medaille, weil er "immer den Mensch in den Mittelpunkt stellt". Was könnte damit gemeint sein?

Wagner: Seit der Gründung der Schule 1986 habe ich versucht, alle Menschen anzusprechen. Der generationenübergreifende Ansatz war damals neu, denn es gab nur Jugendmusikschulen, die man mit 25 zu verlassen hatte. Bei uns sitzt der 17-Jährige im Posaunensatz der Big Band neben dem 75-Jährigen.

Läuft auch sonst gut: Vor wenigen Wochen hat die Stadt den Nutzungsüberlassungsvertrag, der bis 2031 galt, vorzeitig bis 2045 verlängert. Wieviel Jahre davon wollen Sie noch an der Spitze der Schule stehen?

Wagner: Ich werde Ende des Jahres 58 und plane nicht, über die Rente hinaus hier der Chef zu bleiben. Was ich will, ist, einen Betrieb zu installieren, der ohne mich funktioniert. Seit dem 30-Jahr-Jubiläum 2016 formuliert das Leitungsteam mit einem externen Moderator ein Leitbild, das wir den Nachfolgern auf den Weg geben wollen. Das Haus ist in Bewegung, keine Frage. Und wo Bewegung ist, ist auch Reibung. Es wird zum Beispiel nun immer wichtiger, dass wir unsere Einstellungspraxis überdenken und auch jüngeren Leuten eine Chance geben.

Wenn es nach Leonid Tarnopolskyy geht, müssten Sie sofort gehen. Vor einigen Wochen wurde ein großer Streit, der in der Musikschule bis dato hinter verschlossenen Türen geführt wurde, via FAZ öffentlich. Tarnopolskyy beklagt am Beispiel Fürth ein verflachendes Niveau in der musischen Ausbildung in Deutschland, ein Desinteresse an anspruchsvollen Lerntechniken. Zu viel Gruppenunterricht und zu wenig Hochbegabtenförderung. "Ich stieß auf Schüler ohne jegliche Begabung und Interesse." Sie nicht?

Wagner: Eine öffentliche Musikschule finanziert sich durch zwei Kundenkreise: die Schüler und die öffentliche Hand. Gegenüber dieser öffentlichen Hand müssen wir uns rechtfertigen. Ich verstehe unser Angebot als übergreifend für alle soziale Schichten. Die Frage "Einzel- oder Gruppenunterricht" ist dabei keine Frage der Qualität, sondern der Ziele, die der Kunde verfolgt.

Mein Ziel ist: Ich will Lang Lang bald in die Tasche stecken. Schaffe ich das bei Ihnen?

Wagner: Allgemein geht man davon aus, dass lediglich ein Prozent der Schüler einer Musikschule Profi werden wollen. 50 Prozent sind im Elementarbereich unterwegs, 49 Prozent wollen just for fun Musik machen. Das sind Mitmenschen, die nicht nachweisen wollen, dass sie geübt haben auf Teufel komm raus. Für 99 Prozent ist Gruppenunterricht die adäquate Form des sozialen Lernens. Es sind übrigens wir Fürther, die die größte Einzelunterrichts-Quote an den bayerischen Musikschulen haben. Im Instrumentalbereich haben wir 75 Prozent Einzelunterricht. Und "Gruppenunterricht" heißt nicht gleich Niveau-Verflachung. Drei Schüler, die in 30 Minuten durchgejagt werden, so etwas gibt es bei uns nicht. Wir bieten Partner-Unterricht ab 60 Minuten an. Schüler kommen hier zur Ruhe, denn uns ist der qualitative Mehrwert wichtig. An der Sozialform allein entscheidet sich jedenfalls nicht die Qualitätsfrage.

Ein weiterer Tarnopolskyy-Vorwurf: Es gibt in Fürth und anderswo überhaupt keine Klassikpflege mehr.

Wagner: Stimmt nicht. Wir haben bei den Vorspielen eine rege Beteiligung von Klassik. Wir haben eine Sonntagsmatinee-Reihe, in der ausschließlich Klassik gewünscht ist. Und wir haben den Anspruch, auch im Jahreskonzert Leute mit Klassik zu konfrontieren, die das sonst nie hören. Musiktradierung ist unser Auftrag. Es stimmt allerdings, dass die Öffentlichkeit bei Klassik eher an die Jungen Fürther Streichhölzer denkt. Wir müssen vielleicht nach außen deutlicher machen, dass die Orchestermitglieder bei uns lernen.

Die FAZ greift auch Ihr Steckenpferd Inklusion auf: "Gutmenschenbemühungen drohen das Leistungsprinzip ins Abseits zu drängen." Fühlen Sie sich angesprochen?

Wagner: Inklusion ist einer der meist missverstandenen Begriffe hierzulande. Da redet man immer gern schnell von Verflachung und Niveauverlust. Das Gegenteil ist der Fall. Nicht das gemeinsame Lernen ist Kern der Inklusion, sondern das gemeinsame Leben.

Das müssen Sie erklären.

Wagner: Kein Streichquartett, das bei "Jugend musiziert" mitmacht, muss ein schlechtes Gewissen haben, wenn kein Musiker mit Down-Syndrom mitspielt. Aber man kann sich solidarisch für dessen Rechte einsetzen. Jeder hat das Recht, Musik zu machen, und jeder hat das Recht, keine Musik zu machen. Aber wir können dafür sorgen, dass jeder das Angebot annimmt, das wir machen. Inklusion hat zu tun mit einer Pädagogik, die sich vornimmt, allen Menschen ein annehmbares Angebot zu machen, also auch behinderten Menschen.

Sie reden von Angeboten, wir von Niveau. Wie kriegen Sie Niveau hin?

Wagner: Dass wir uns nicht missverstehen: Die Eintrittskarte bei uns heißt Können. Aber das muss zum Individuum passen. Jemand, der etwa in meinem (inklusiven, FN) Orchester Kunterbunt an einer wichtigen Stelle eine Note richtig spielt, ist so wertvoll wie die anderen, die mehr Noten zu spielen haben. Mein Ansatz heißt "Selbst-verständliches Musizieren": Jeder Musiker soll Verantwortung übernehmen für das, was er tut, und nicht immer nur auf den Dirigenten oder Dozenten warten, was nun zu tun ist.

Das widerspricht der russischen Schule allerdings vollkommen.

Wagner: Ja. In der russischen Schule soll der Schüler nach Möglichkeit hineinwachsen in die Vorstellungswelt seines Lehrers.

Warum haben Sie dann Tarnopolskyy 17 Jahre lang am Haus gehalten?

Wagner: Einerseits wollte ich ihm eine Chance geben. Und es gab natürlich auch Schüler, die mit seinen Methoden klarkamen. Im Nachhinein ist es schwierig zu beurteilen, inwieweit man sich schon früher hätte trennen sollen.

So schlecht scheint die russische Schule nicht zu sein. Es gibt russische Pianisten mit enormem Erfolg.

Wagner: Richtig. Und da sind wir wieder bei jenem einen Prozent Hochbegabter. Hier haben wir ganz klar als Pädagogen die Aufgabe, vom Ziel her zu denken. Ein Orchester fordert das Können gewisser Stücke. Ein Konservatorium fordert das ebenfalls. Kann man das nicht, bekommt man die Stelle nicht, so einfach ist das leider. Bei den anderen 99 Prozent aber müssen wir uns nach dem Individuum richten. Da zählen weniger die Lehr- als die Entwicklungspläne.

Nochmals: Ich würde gern Lang Lang in die Tasche stecken. Lerne ich das bei Ihnen oder nicht?

Wagner: Wir haben die Lehrer, die fähig sind, zu erkennen, wann es Zeit wird, ans Konservatorium zu wechseln. Aber man sollte langsam machen, denn Musizieren ist nicht allein ein Ausdrucksmittel, sondern Kommunikation. Und genau das lernt man in einer Musikschule.

Nennen Sie uns rasch einen bekannten, etablierten Konzertpianisten, mit dem sich die Musikschule Fürth schmücken kann, weil er hier ausgebildet wurde.

Wagner: Michael Flügel. Oder Jonathan Hofmeister. Beides Jazzer, muss ich zugeben. Für die Klassik habe ich kein Beispiel. Vielleicht kommt unser Motto "Weil Können Spaß macht" in der Ausbildung klassischer Pianisten bislang zu kurz. Niemand spricht ja dem Leonid ab, dass er für das eine Prozent ein guter Lehrer ist. Aber es gibt für einen Lehrer nicht nur Spitzenbegabungen. Als Musikschuldozent muss ich mich breiter aufstellen. Deutschland ist nicht das von Tarnopolskyy ersehnte Kultur-Wunderland. Es ist aber ein Wunderland wegen seines sozialen Friedens. Dazu zählen das Lernen und Leben in der Gemeinschaft.

Auf der Musikschul-Homepage schreiben Sie: "Das innere Gleichgewicht haben, das wünsch’ ich mir und anderen." Haben Sie es?

Wagner: Ich möchte in Zukunft ein bisschen langsamer machen, das bin ich meiner Familie schuldig. Das hohe Ansehen der Schule in der Öffentlichkeit bestätigt mich. Ich bin eigentlich ein sehr glücklicher Mensch, aber immer noch unruhig.

Was macht Sie unruhig?

Wagner: Es schmerzt, dass Grund- und Hauptschulen weitgehend keinen Musikunterricht mehr geben. Da ist tatsächlich die Kulturtradition in Gefahr. Das hat aber nichts mit den Musikschulen zu tun. Der Freistaat müsste die verstärkte Kooperation der Schulen mit öffentlichen externen Anbietern, wie wir es sind, anpeilen. Das geht aber nicht mit einer freiwilligen Nachmittags-Musik-AG. In so einem Modell sehe ich keine Gelingensbedingungen. Ich bin in Fürth sehr, sehr dankbar für die Möglichkeiten, die wir haben, und für das supergute Haus im Südstadtpark. Aber die Stadt könnte sich mit uns gemeinsam noch mehr anstrengen, müsste sich dafür allerdings organisatorisch und finanziell auf den Weg machen. Mein Eindruck ist gerade eher, dass sich Kommune, Land und Bund gegenseitig blockieren. Das könnten sie vom Inklusionsprinzip lernen: dass alle zuständig sind und alle verantwortlich.

Große Ehre für Robert Wagner: In Passau nimmt der Leiter der Musikschule Fürth — 1700 Schüler, 60 Dozenten — heute die Carl-Orff-Medaille entgegen, die höchste Auszeichnung des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen. Zu seinen Vorgängern zählen etwa BR-Intendant Ulrich Wilhelm und Reinhart von Gutzeit, Rektor des Salzburger Mozarteums. Gleichwohl flog kürzlich in Fürth der Deckel hoch. Der aus der Ukraine stammende Klavierdozent, Pianist und Organist Leonid Tarnopolskyy warf via FAZ-Feuilleton der Musikschule vor, ein Massenbetrieb mit mehr Interesse an Inklusion denn an Leistung zu sein. Nach 17 Jahren endete Tarnopolskyys Zeit am Fürther Haus vor wenigen Wochen mit einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht. Zeit, nachzufragen bei Robert Wagner.

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