Nach dem Brexit sind die Gefühle mancher Fürther in Aufruhr

26.6.2016, 10:00 Uhr
Nach dem Brexit sind die Gefühle mancher Fürther in Aufruhr

© Foto: Michael Kappeler/dpa

Gwendolyn Kuhn (42), FN-Redakteurin und England-Liebhaberin, macht mit ihrer Familie gerade Urlaub in Cornwall. Dort, am südwestlichsten Zipfel Englands, haben die Briten mehrheitlich für den Brexit gestimmt. Cornwall wurde als letzte Region ausgezählt und habe „das Ergebnis zementiert“, berichtet die Kollegin, die das Abstimmungsergebnis aus den BBC-Nachrichten erfuhr und „richtig geschockt“ war.

Es ist nun befremdlich für sie, sich in einem Landstrich zu bewegen, der so klar Nein zu Europa sagt. Ablehnung zu spüren bekommen sie und ihre Familie aber nicht. Im Gegenteil: „Die Leute hier sind genauso herzlich, nett, freundlich und zuvorkommend wie sonst auch“, versichert Kuhn, die schon oft nach England gereist ist. Irgendwie war sie dann aber doch erleichtert, dass zwei junge Briten am Strand das Votum, das sie vor allem den älteren ihrer Landsleute zuschreiben, katastrophal nannten.

Ingeborg Schier geht der Brexit nahe, das ist der Englischlehrerin selbst via Telefon anzumerken. „Als überzeugte Europäerin, die an ein Europa ohne Kriege und ewige Konkurrenz glaubt, bin ich heute tieftraurig.“ Mit 30 Schülern des Hardenberg-Gymnasiums tourt die 56-Jährige gerade durch Schottland, das gegen den Brexit gestimmt hat. Um den seit 1989 bestehenden Austausch mit der Dunoon Grammar School bangt Schier nicht. Von behördlicher Seite, meint sie, könnte es komplizierter werden. Am Tag der Abstimmung begleitete Schier schottische Kollegen in eine „Polling Station“ (Wahllokal). Für diese Leute, deren Herz für Europa schlägt, sei „das Ergebnis ein Schock“, sagt Schier. Zum Teil mit ersten Folgen. So habe der Mann einer Kollegin in der Auszählungsnacht keinen Schlaf gefunden, weil er kurz vor dem Abschluss eines Geschäfts mit US-Partnern stand, das wegen des Votums nicht wie geplant abgeschlossen werden kann. Der Mann sei daher am Morgen überstürzt nach London aufgebrochen.

Nach dem Brexit sind die Gefühle mancher Fürther in Aufruhr

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Tracey Brown (45) aus Hertford bei London hat zwei Söhne, von denen der Ältere 2015 an einem Schüleraustausch mit dem Fürther Schliemann-Gymnasium teilnahm. Sie schrieb auf Anfrage: „Ich habe für den Ausstieg gestimmt, weil ich den Eindruck habe, dass die EU zu mächtig und restriktiv gegenüber ihren Mitgliedsländern geworden ist. Unsere Fischerei-Industrie hatte schwer unter den EU-Vorschriften zu leiden. Und die Zuwanderung wirkt sich seit einiger Zeit auf Sozialwohnungen aus und beispielsweise auch auf unser Gesundheitswesen.

Ich denke, Austauschprogramme wird es weiter geben. Sie sind ein Segen für die Kinder und ihre Familien, eine wunderbare Erfahrung und eine Chance, weltumspannend Freundschaften und Frieden zu schließen. Wir lieben Europa, aber nicht die EU als politische Union.“

Paul Heinz Bruder, Chef der Fürther Bruder Spielwarenfirma, die vor allem vom Export in die EU lebt, hat bis zuletzt gehofft, „dass sich die wirtschaftliche Vernunft durchsetzen wird“, also die EU-Befürworter. Nun ist der 56-Jährige beunruhigt. Mit Blick auf die dramatischen Wechselkursverschiebungen rechnet er mit Umsatzeinbrüchen in Großbritannien. Doch ließen sich die für seine Firma mit 410 Beschäftigten in Burgfarrnbach „vielleicht verkraften“.

Bruders Hauptsorge gilt dem Umstand, dass das britische Votum Signalwirkung haben könnte, dass es in anderen Mitgliedsstaaten nationalistische Kräfte mobilisieren könnte, mit der Folge weiterer Abspaltungen. Für Mittelständler wie ihn hieße das immer neue Handelsschranken, Sondervereinbarungen, Extra-Normen und immer mehr unternehmerisches Risiko.

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