Neuer Ansatz: Klettertherapie für Demenzkranke

10.1.2018, 16:00 Uhr
Neuer Ansatz: Klettertherapie für Demenzkranke

© Thomas Scherer

"Aufstehen wie ein Frosch", ermuntert Gudrun Schuster die alte Dame, die neben ihr in der Kletterwand hängt und die gespreizten Knie gegen den Beton stemmt. Die Klettertherapeutin hilft Marianne Weber, die Füße auf bestimmte Tritte zu setzen. Und "jetzt mit der Kraft aus beiden Beinen hochziehen, dann ist es am einfachsten", redet sie der Frau mit dem flotten Kurzhaarschnitt gut zu.

Neuer Ansatz: Klettertherapie für Demenzkranke

© Thomas Scherer

Die 84-Jährige wurde im Rollstuhl an die Kletterwand geschoben, in den Gurt gepackt – und nun will sie es wissen, wie sie selbst lächelnd sagt. Sowohl Marianne Weber als auch Gudrun Schuster, die die entscheidenden Tipps gibt, baumeln gesichert in der Wand. Esther Krick und Martina Meschede halten die Sicherungsseile.

Zwei Jahre Kampf

Neuer Ansatz: Klettertherapie für Demenzkranke

© Thomas Scherer

Schuster, eine gerontopsychiatrische Fachkraft der Diakonie in Oberasbach, hat zwei Jahre dafür gekämpft, dass sie alten Menschen wieder etwas Spaß und mehr Lebensfreude verschaffen kann. Dass es möglich ist, sah sie in einem Film und sie las es in den Büchern des Linzer Profi-Kletterers Hermann Wiesinger, der ein Sport-Programm für Menschen mit Alzheimer entwickelt hat.

Die in Fürth lebende Expertin war wild entschlossen, für die Patienten, bei denen sie Hausbesuche macht und die sie berät, sobald eine Pflegestufe gegeben ist, ein Therapieprogramm einzurichten. "Ich wehre mich dagegen, dass man den alten Leuten nur noch zutraut, ‚Hoch auf dem gelben Wagen‘ zu singen und Atemübungen im Sitzkreis zu machen", kritisiert Gudrun Schuster den üblichen Umgang mit der Krankheit. Unterstützung bekam sie von der Deutschen Alzheimergesellschaft, die mit Zuschüssen zweimal geholfen hat. Schuster schaffte Klettergurte an und sie erreichte, dass die Diakonie in Zirndorf die Schulturnhalle zur Verfügung gestellt bekam.

Die Realschule ist stolz auf das besondere Sportprogramm. Lehrerin Ruth Diener ist dabei, mit ihren älteren Schülern auszuloten, wie sie praktisch helfen könnten. Noch im Januar soll ein Integrationsmodell starten, an dem die Jugendlichen "brennend interessiert sind", versichert die Pädagogin.

"Machen Sie ein Bild", ruft eine Kletterin aus der Wand Betreuerin Katrin Lippel zu. Die zückt ihr Handy, denn "ohne Foto glauben mir meine Enkel das nie und nimmer", sagt die alte Dame lachend; mit ihren stolzen 80 Jahren hängt sie erstmals im Klettergeschirr.

"Sie haben das toll gemacht", lobt Schuster, die selbst äußerst versiert klettern kann. Sie sammelte viele Jahre Erfahrung im Alpenverein, bildete dort aus und absolvierte für das Projekt in Zirndorf intensive Sicherungstrainings.

Dreimal die Wand hoch

Das kommt jetzt Lotte Wendt zugute. Mit 78 ist sie die jüngste und quirligste Kletterin in der Senioren-Crew. Sage und schreibe drei Mal zieht sie sich innerhalb kurzer Zeit auf der orangefarbenen Route, etwa einem dritten Grad, nach oben.

Mit Hilfe des Sportwissenschaftlers Torsten Hans hat Gudrun Schuster drei Kletterrouten in der Halle festmachen lassen: In Orange, Rot und Weiß sind die Hilfen, Griffe und Untertritte auch für ältere Augen in der Wand gut zu erkennen.

Sagt jedenfalls Heinz Fichte. Der ehemalige Handball-Schiedsrichter ist heute zum ersten Mal am Start. Diese Wand aber ist irgendwie nicht sein Ding. Der Hüne, mittlerweile 90 Jahre alt, ist zu sehr Sportler und erkennt deshalb ganz nüchtern: Hier kann er nicht seine übliche Leistung abrufen. "Meine Zehen sind kaputt, es klappt nicht!"

In der Fränkischen Schweiz und in den Südtiroler Bergen war Erika Kündiger und ihrem Mann kein Wanderweg zu weit. Jetzt ist der Partner der 83-Jährigen an Alzheimer erkrankt und sie wendet ihre ganze Kraft für die Betreuung auf.

Die Kletternachmittage sind für Kündiger eine willkommene Abwechslung im Alltag. Zum zweiten Mal stemmt sie sich jetzt im Klettergurt in die Wand: "Was das für eine Freude macht, denkt man gar nicht!", entfährt es ihr, als sie wieder unten ist.

"Lebensfreude im Alter duelliert sich mit Sicherheit im Alter", zitiert Gudrun Schuster während einer Trinkpause eine Beschreibung. Sie glaubt selbst nicht an solche Klischees und ist mit ihrem Engagement herkömmlichen Therapieangeboten nicht nur weit voraus; sie holt auch die "Schwebenden" auf den festen Boden eines erträglichen Daseins zurück.

Die Zirndorf-Oberasbacher Aktion "Klettern trotz(t) Demenz" findet in Absprache mit der Deutschen Alzheimergesellschaft statt. Die Pflegekassen schießen für jeden Teilnehmer monatlich 125 Euro zu, falls er oder der Angehörige eine Pflegestufe hat. Bei Interesse kann man sich an die ds-oberasbach@diakonie-fuerth.de wenden, Rufnummer (09 11) 69 46 51.

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