„next to normal": Schaut nicht weg!

15.4.2017, 15:30 Uhr
„next to normal

© Foto: Stadttheater/Rolf Bock

Sie haben mal Inge Meysel gespielt. Erzählen Sie uns, wie das war.

Martin: Wirklich gespielt hab’ ich sie nicht, sondern parodiert. Und, (er wechselt in den typisch berlinernd-zittrigen Sprachduktus der Meysel), na, also, also, dieser Felix Martin, was der macht, also, das ist ja, das ist wirklich ent-setz-lich! (Nun wieder er selbst) Meysel begleitet mich in meinen Soloprogrammen, wo sie hin und wieder von ihrer Mutter-der-Nation-Wolke herabschaut. Ich habe sie Anfang der achtziger Jahre kennen gelernt über meine Eltern, die Schauspieler in Hamburg waren. Ich parodiere die Meysel liebevoll, denn man kann nur Leute gut parodieren, die man auch mag.

 

Meysel ist Kult, aber auch ein gewisser Felix Martin hat einen Fanclub, seit 1994 sogar. Um mit Markus Lanz zu fragen: Was macht das mit einem?

Martin: Ja, das hat sich gut entwickelt, diesen Fanclub führt eine liebe Dame aus Mönchengladbach. Wir treffen uns jährlich, es ist eine nette, nicht unangenehme Nähe. Da gab es früher leider auch ganz andere Geschichten. Ich bin froh, dass hier aber alles sehr liebenswert läuft. Und das ermöglicht mir, die Sache entspannt und gelassen zu sehen. Diese Fans reisen mir sehr oft auch nach, Leute aus der Schweiz sind darunter, aus Japan. Die kommen jetzt auch nach Fürth. Japaner sind sehr treue Fans. Und sie haben ein großes Faible für Musicals.

 

Für wen würden denn Sie einen Fanclub gründen?

Martin: Für Fritz Wunderlich, würde es ihn noch geben. Ich habe seine Stimme, die ich als Kind erstmals hörte, noch immer im Ohr. Sein Tamino ist unerreicht, er hat diese spezielle Träne im Timbre, wunderbar. Aber auch Rio Reiser gefällt mir. Tolle Stimme, genial authentischer Typ.

 

Sie selbst standen als einer der drei Knaben in einer Hamburger "Zauberflöte"-Produktion auf der Opernbühne, als Sie zwölf Jahre alt waren. Um wie viel Millimeter haben Sie später eine Opernsänger-Karriere verpasst?

Martin: Ich habe immer mit der Oper geliebäugelt, das stimmt. Aber mit 21 bin ich gleich nach der Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar auf der Musicalbühne gelandet. Danach kam eins zum anderen. Ein Opernfan aber bin ich immer geblieben, und immerhin habe ich auch zweimal Operette gemacht. Was mich freut, ist, dass ich im Musical mehr in der Gesangs- als in der Tänzerschiene bin.

 

Wer aktuell Nachrichten hört oder schaut, braucht starke Nerven. Ist die gefühlte Schlechtigkeit der Welt ein Grund, warum das Unterhaltungsgenre Musical nach wie vor boomt?

Martin: Wenn die Zeiten kritisch sind, verspüren die Leute mehr Sehnsucht nach Abschalten. Natürlich eignet sich das Musical dafür, aber es ist nicht immer nur effektheischend, wie man vor allem am Beispiel "next to normal" sieht. Für den deutschsprachigen Raum ist das ein absolut untypisches Werk, während im Angelsächsischen Stücke wie "Rent", "Assassins" oder auch "Cabaret" sehr erfolgreich waren, obwohl sie nicht nur wunderbar unterhaltend, sondern auch zeitkritisch sind. Die Welt war und ist kompliziert, es gibt niemals einfache Antworten, und das war, glaube ich, immer so. Tatsächlich gibt es heutzutage weniger Kriege als vor vielen Jahrzehnten; der Unterschied ist nur, dass wir viel schneller viel mehr davon mitkriegen als früher.

 

Und was machen wir daraus nun?

Martin: Man kann nur versuchen, sich nicht auf Lügen einzulassen und auf all die Vereinfacher. Gerade im Musical-Business sind immer internationale Teams im Einsatz, Künstler aus aller Herren Länder, die sich gegenseitig kreativ befruchten. Da gibt es, auch was Benefiz-Aktionen und den Einsatz für Minderheiten betrifft, eine große Solidarität. Und eine gewisse Parallelität auf der Bühne birgt "next to normal" mit seiner Botschaft: Redet darüber, fangt in der Familie damit an, nicht wegzuschauen, verschweigt nichts, brecht das Tabu des Schweigens!

 

Was ist für Sie das besondere Qualitätsmerkmal von "next to normal"?

Martin: Dass das Thema Bipolarität in eine erstklassige Form gegossen ist. Dass es neben den tragischen trotzdem auch amüsante Momente gibt. Dass dieses Werk Zuschauer anspricht, die sagen, meine Güte, ich kenne jemanden, dem geht es ebenso wie Diana. Es ist mutig, so eine Krankheit auf die Bühne zu bringen. Aber man merkt, dass die Macher und Übersetzer Titus Hoffmann sich ernsthaft damit beschäftigt haben. Ich war 2013 in der deutschsprachigen Erstaufführung in Fürth ohne jede Ahnung, dass ich irgendwann selber mal in dieser Produktion mitspielen würde. Dass ich das nun darf, macht mich glücklich und dankbar. Wir haben das ja schon im Vorjahr gemeinsam in Wien gespielt, und ich spüre jetzt bei den Wiederaufnahme-Proben in Fürth, dass wir im Lauf der Zeit noch mehr Nuancen aus dem Stück herausgeholt haben. Mir scheint, das ist eine Reise, die nie zu Ende ist.

 

Ihre Rolle des Dan, der seiner Ehefrau Diana auch in schweren Stunden beisteht — das ist nun alles andere als die klassische Rampensau-Nummer. Fällt Ihnen das leicht oder schwer?

Martin: Darüber denke ich gar nicht nach. Dan unterstützt Diana bis zuletzt, lässt nicht los, weil er in guten wie in schlechten Zeiten zu ihr stehen will. Doch zugleich ist er einer, der zweifelt. Am Ende ist es offen, ob ihn nicht womöglich selber Wahnvorstellungen plagen. Sehr interessant für mich ist, dass ich ja in Wien noch der Therapeut war, jetzt bin ich der Ehemann. Zwei grundverschiedene Blicke aufs Stück.

 

Apropos therapiebedürftig: Glauben Sie eigentlich auch, dass Trump eines Tages Musical-Stoff wird?

Martin: Um Himmels Willen. Und dann nennen wir es "Trump — Das Fake-Musical"? Nein, das muss nicht sein. Ich weiß auch gar nicht, wer die Musik schreiben soll. Bohlen? Also, ein Musical, das sich um ihn dreht, würde ich Trump nicht gönnen.

 

Braucht die Welt gerade mehr Entertainer oder mehr Therapeuten?

Martin: Auf jeden Fall beides.

 

"fast normal — next to normal": heute (19.30 Uhr), Ostersonntag (15 und 19.30 Uhr), Ostermontag (15 Uhr). 

Verwandte Themen


Keine Kommentare