Nur ein Spiel

27.9.2011, 17:00 Uhr
Nur ein Spiel

© Winckler

Feste bei Freunden finden meistens so statt: Große Räume. Eine lange Tafel, festlich gedeckt. Kerzen. Solch lange Tafeln erinnern mich immer an Leonardo da Vincis Abendmahl. Das Gastgeberehepaar, Meister mit Gattin oder Chefin mit Mann, und wir, die Gäste, rundherum drapiert sind die Jünger, die Lieblingsjünger. „Jünger“ ist die Steigerung von „jung“ und darum geht es ja doch in meinem, unserem Alter.

Früher, zu meines Vaters Zeiten, wurden Tischreden gehalten, Damenreden meist, mit aufwändigen Hymnen auf weibliche Schönheit. Heute läuft das alles demokratischer ab. Zu Beginn der Einladung sollen wir uns selber der doch größeren Runde vorstellen und dabei etwas einigermaßen Bemerkenswertes über die Qualität der Gastgeber und über unsere Liebe zu den Gastgebern von uns geben. Das tun wir mehr oder

weniger gerne und wir überbieten uns gegenseitig in der Beschreibung der Dynamik der Hausfrau, des Schwunges des Hausherren, der vielseitigen Aktivitäten des geliebten Paares.

Wir alle, in einem gewissen Alter angekommen, oder eigentlich von Kindesbeinen an, wissen ja: Mobilität ist alles. Der bewegte Mann, die bewegende Frau. Nicht zufällig bestieg der Heilige Vater in diesen Tagen wieder sein „Papamobil“, das Fahrzeug, ach, was sage ich, das Schlagwort des beginnenden 21. Jahrhunderts. „Opamobil“ oder „Omamobil“ müsste das Gefährt eigentlich heißen, denn die Rente mit 69 steht vor der Tür und ehrenamtliche Kinder- und Enkelerzieher sind als Rettungsanker in einer stürmisch werdenden Welt mehr und mehr angefragt.

Zwar steigen Immobilien im Wert, aber immobile Menschen belasten und passen als zu wenig stromlinienförmig nicht ins gängige ästhetische Bewusstsein.

„Ey Alter“ begrüßen sich schon die Jungen, aber, ach was, „Trau keinem über Dreißig“ habe ich schon vor beinahe schlappen 50 Jahren getönt, und jetzt bin ich bald 70.

Also erzählen wir Pensionäre uns gegenseitig, wie bewegt noch unser Alltag sei: Reisen, Filme und Theater, Joggen, Fitness und mancher Kater, Fahrradtouren, Bergbesteigung, Jakobsweg unter erschwerten Bedingungen, Schweigeklöster, Chakrazentren. Wir staunen selber und erwecken Staunen. Was, drei Enkel betreust Du und fährst sie zum Reitkurs und ins Fechtzentrum und bringst ihnen gegen den Ferienblues im Winter noch das Wedeln bei? Und das mit versteiftem Knie und lahmender Hüfte, und trotz Frühpensionierung ringst Du noch wie Jakob mit dem Engel mit dem Enkel gegen die verrinnende Zeit. Und eine noch ältere Mutter sitzt Dir im Nacken und wird auch noch mit im passenden Zeitfenster betreut. Herzlich, herzhaft, denn es soll ja niemand zu kurz kommen. Außer? Außer wem? Außer Dir?

Und damit wir nicht zu kurz kommen und damit wir uns die Fragen nicht selber falsch beantworten müssen und besonders dann, wenn die Zeit uns den Atem nimmt, schaffen wir uns ein „Event“. Wir liften und ent-falten uns, wir straffen den Po und die Energie und der Beichtvater Frisör rät uns zu einem derartigen Überraschungsoutfit, dass uns selbst der domestizierte Lebensbegleiter nur mühsam wieder erkennt. „Schöne fremde Frau, Du gehörst zu mir...“ singt er. Na ja.

Und weil der Glaube fehlt, der unzerstörbare Glaube, dass man doch mehr sei als eine langsam zerfallende Ruinenlandschaft, weil man sich nie so ganz sicher sein kann, ob es neben dem Marktwert auch noch einen liebenswerten Lebenswert gibt, stellt man an den Anfang des Festes diese scheinbar peinliche Lohengrin-Frage und jeder, jeder der Gäste, ob jung oder jünger, ist im Tiefsten gerührt.

Denn peinlich und komisch sind wir doch alle. Irgendwie und sowieso!

 

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