Oberasbach auf den Spuren des Ersten Weltkriegs

2.12.2018, 14:57 Uhr
Oberasbach auf den Spuren des Ersten Weltkriegs

© Foto: Arnold Lehmann

Ihren Großvater hat Inge Zimmer persönlich nie kennengelernt: Der Krieg ist im September 1914 erst wenige Wochen alt, als den Unteroffizier Albert Tröller in der Schlacht an der Marne ein Schuss in den Kopf trifft. Die Kugel dringt ins Auge und bleibt im Schädel stecken. Nach mehreren Operationen stirbt er am 4. Mai 1915 in einem französischen Lazarett.

Und doch, so erzählt die 76-Jährige, war der Opa in der Familie sehr präsent. Ihr Vater habe immer mit Hochachtung von ihm gesprochen. Nach dessen Tod 1998 entdeckte sie im Nachlass einen Packen Briefe — die Korrespondenz ihrer Großeltern aus der Kriegszeit und davor.

Albert Trömmer in Gala-Uniform, in der er Kaiser Wilhelm II als Mundschenk bediente, als dieser vor dem Krieg Trömmers Regiment besuchte.

Albert Trömmer in Gala-Uniform, in der er Kaiser Wilhelm II als Mundschenk bediente, als dieser vor dem Krieg Trömmers Regiment besuchte. © privat

"Wir wussten, wo der Großvater begraben war, aber meine Oma hatte nie das Geld, um nach Frankreich zu fahren, und auch mein Vater hat es nicht geschafft", sagt Inge Zimmer. Als sie jetzt gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn auf Einladung der Stadt Oberasbach dessen letzte Ruhestätte in Frankreich besuchen konnte, sei das "ein Glücksgefühl" gewesen.

Fleißiger Rechercheur

Inge Zimmer wohnt in Lauter, einem Dorf 75 Kilometer nördlich von Frankfurt. Zu verdanken hat sie die Tour ins Limousin insbesondere den Recherchen von Arnold Lehmann vom Kulturverein Oberasbach, der die Städtepartnerschaften pflegt. Bereits vor vier Jahren erreichte ihn eine Anfrage aus Frankreich: Ob Oberasbach nicht behilflich sein könne, Nachkommen jener 115 deutschen Soldaten zu finden, die am Friedhof von Chaptelat begraben liegen?

Dabei handelt es sich nicht um eines der riesigen Gräberfelder, wie sie häufig in Frankreich zu finden sind. Die Gegner von einst liegen, bestattet in zwei Reihen, gleich neben den Bürgern des 2000-Seelen-Ortes. Jede Ruhestätte ist mit einem Kreuz, dem Namen des Toten, Geburtstag, Sterbedatum und — wo vorhanden — mit einer Fotografie versehen. Die Anlage wird seit 100 Jahren sorgfältig gepflegt.

Arnold Lehmann bekam aus Chaptelat eine Liste mit den Namen und ging an die Recherche. Schnell war klar: Von den insgesamt 31 Männern aus dem heutigen Stadtgebiet Oberasbachs war keiner dort bestattet. Das wäre ohnehin ein großer Zufall gewesen. Schließlich sind in Chaptelat nur deutsche Soldaten beerdigt, die im nahe gelegenen Lazarett im Weiler Le Mas Eloi gestorben waren.

Alle Daten verzeichnet

Das Grab von Albert Tröller, der in einem Lazarett in der Nähe starb und als einer von 115 deutschen Soldaten auf dem Friedhof von Chaptelat bestattet wurde.

Das Grab von Albert Tröller, der in einem Lazarett in der Nähe starb und als einer von 115 deutschen Soldaten auf dem Friedhof von Chaptelat bestattet wurde. © Foto: Arnold Lehmann

Das Bayerische Armeemuseum in Ingolstadt konnte nicht helfen. Das Bayerische Hauptstaatsarchiv in München dagegen schon. Dort werden die Daten aller bayerischen Soldaten — unter anderem Name, Einheit, Einsatzorte, Auszeichnungen — verwahrt, und das seit mehreren hundert Jahren. 16 Bayern fanden sich auf der Liste, jedoch alles ledige Männer, die keine Nachfahren hinterlassen hatten.

Lehmann wandte sich daraufhin mit der Liste aus Frankreich an die Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Deren Antwort: Unter den 115 Toten fänden sich zwölf Namen, bei denen Familienangehörige Nachfragen nach deren Schicksal gestellt hatten. Daten durfte der Verein dem Oberasbacher aber nicht weitergeben. Lehmann schickte deshalb einen Brief an den Volksbund, der diesen dann jeweils weiterleitete. Von den Angeschriebenen meldete sich: Inge Zimmer. Ihr Großvater zog als "Kaisertreuer" begeistert in den Krieg, erzählt die Hessin. Doch seine Stimmung sei bald umgeschlagen. Bereits am 1. September 1914 schreibt der 32-Jährige nach Hause: "Der liebe Gott gebe, dass es bald fertig ist, denn es ist grässlich."

Der Freund gefallen

Eine Woche später fällt sein Freund Karl Sann, am gleichen Tag erleidet er selbst den Kopfschuss. Daheim glaubt ihn die Familie tot — der nächste Brief erreicht die Heimat erst Ende September. Der Unteroffizier muss etliche Operationen über sich ergehen lassen, seine Familie erfährt aus der Feldpost freilich nichts davon. Albert Tröller stirbt schließlich an einer Lungenentzündung — am gleichen Tag feiert sein Töchterchen Minna daheim ihren fünften Geburtstag.

Die Gegenwart gedenkt ihm und allen anderen Opfern: Die Zeremonie auf dem Friedhof mit rund 200 Personen — Inge Zimmer spricht von einer "Prozession" — hat sie stark beeindruckt. "Sag mir, wo die Blumen sind", sang Marlene Dietrich vom Band, ein Kinder-Chor live die Europa-Hymne. Fahnenträger führten den Zug an, in dem sich auch die Oberasbacher Bürgermeisterin und ihre Kollegin aus Chaptelat, Julie Lenfant, befanden. Beide hielten Ansprachen und legten einen in den europäischen Farben Gelb und Blau gehaltenen Kranz nieder. Es sei ihr nicht bewusst gewesen, welche Bedeutung der Erste Weltkrieg noch heute für die Franzosen habe, sagt Birgit Huber. Davon zeugte auch eine Ausstellung in der Turnhalle von Chaptelat: Schulkinder hatten in bewegenden Bildern Soldatenschicksale dargestellt.

Verwüstetes Land

"Die Franzosen haben eine andere Erinnerungskultur, sie setzen sich mehr mit der Geschichte auseinander", weiß Arnold Lehmann. Und das nicht nur aufgrund der im Ersten Weltkrieg eigenen rund 1,4 Millionen Gefallenen. Weite Teile des Landes wurden im Zuge des Flächenbrands verwüstet. Selbst heute spuckt der Boden noch immer Relikte dieses ersten industriell geprägten Mordens aus. Welch tragende Rolle der 11. November dabei im Gedenken spielt, das haben Inge Zimmer und die Besucher aus Oberasbach nun hautnah erfahren. "Der Tag, an dem die Waffen schwiegen", er dürfte künftig wohl auch für sie ein ganz besonderer sein.

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