Pakt mit dem Licht

7.11.2018, 18:05 Uhr
Pakt mit dem Licht

© F.: Hans-Joachim Winckler

Die Sonne, die durch das spärlich gewordene Laub der Gartenbäume fällt, lässt tanzende Lichtflecken durch Günter Derleths Atzenhofer Wohnzimmer tanzen. Hätte man nicht besser inszenieren können, denn hier sitzt einer, der mit dem Licht einen besonderen Pakt eingegangen ist.

Die Geschichte beginnt in Zürich. Günter Derleth ist als junger Schriftsetzer in die Schweiz gegangen. Hier sitzt in den Sechzigern das wegweisende Zentrum seines Handwerks, außerdem ist Nürnberg, seine Geburtsstadt, angenehm fern. "Ich wollte nach der Ausbildung erst einmal weg", sagt der 77-Jährige lapidar. Schriftsetzer war er geworden, weil "der Vater zeitungsverliebt" war.

Die Arbeit sagt ihm zu. Bis zu dem Tag, als er in einer Ausstellung Fotos von Werner Bischof sieht. Der Schweizer, Reportage-Spezialist und Mitglied der Agentur Magnum, gehörte zu den bedeutendsten Fotografen seiner Zeit. Die Konfrontation mit Bildern hat für Derleth Konsequenzen: "Ich beschloss, Fotograf zu werden."

Er besaß keine Kamera, hatte bis zu diesem Tag noch nicht einmal eine in der Hand gehabt. Trotzdem: "Es war so eine Faszination, ich kann das nicht erklären." Die Kündigung seines sicheren Jobs war für ihn konsequent, andere nannten ihn verrückt. Zurück in Nürnberg, kämpft er sich für 21 Mark im Monat als Lehrling durch eine Fotolehre. Von der Erfüllung seines Traums ist Derleth meilenweit entfernt. "Es war fürchterlich, aber ich musste das durchziehen."

Mit dem Abschluss in der Tasche findet er eine Stelle als Assistent in der Werbefotografie. Die Aufgabe gefällt ihm. 1972 macht er sich selbständig und wird 30 Jahre lang "nur schuften". Irgendwann ist ihm klar, dass es für ihn so nicht weitergehen kann. "Entschleunigung" ist ein Begriff, mit dem er seine Sehnsucht beschreibt. Derleth findet, was er erhofft, als er Mitte der neunziger Jahre "beim archaischen Ursprung der Fotografie" landet. Er greift zur Lochkamera.

Seine ersten Versuche macht er mit dem Gehäuse einer Hasselblad. Das Objektiv schraubt er ab, klebt an dessen Stelle ein Stück Pappe mit einer kleinen Öffnung. "Von der historischen Camera obscura hat man damals natürlich in der Berufsschule gehört. Interessiert hat das freilich keine Sau. Jeder wollte eine Nikon haben, nicht so ein Ding."

Das Ding kommt mit in den Urlaub. Statt der üblichen Bilderflut macht er bloß ein paar Bilder. Ohne Stativ, ohne Belichtungsmesser, ohne Schnickschnack, aber mit viel Geduld. "Es war der absolute Gegenentwurf zur Werbefotografie, und dieses Loslassen von jeglicher Kontrolle hat mich plötzlich richtig angemacht."

Derleth kauft sich eine Robert Rigby Pinhole Kamera, die aktuelle Version eines Geräts, das schon Goethe mit sich herumtrug, das Leonardo da Vinci nutzte und dessen Prinzip schon in der Antike beschrieben wurde. Doch dem Lichtbildner, der seit vielen Jahren in Atzenhof lebt, fiel bis heute noch viel mehr zur Camera obscura ein.

Er baute unter anderem eine mannsgroße Lochkamera, die er zum Beispiel in Venedig aufstellte. Die Aufnahmen, die auch in einem Bildband mündeten, begeisterten Fachwelt und Publikum. In einem beinahe magischen Licht erscheint die Serenissima wie ein Traum von einer Stadt, die unberührt ist von Touristenströmen und Vergänglichkeit.

Bilder, die diesen unvergleichlichen Zauber ausströmen, der etwas Ursprüngliches hat, weil kein Mensch dem Licht ins Handwerk pfuscht, kann Derleth auch aus einer Sänfte machen, die er nach historischem Vorbild konstruierte. Der Künstler funktionierte bereits den Fürther Rathausturm zur Lochkamera um oder verteilte im Jubiläumsjahr 2007 simple "Pappschachtel"-Kameras an die Bürger, die sich dann ganz persönliche Motive suchten.

"Ich mach’ ja dauernd was", sagt der Mann, der sich bei seinen hintersinnigen Aktionen aber garantiert nicht hetzen lässt. Exakt ein Jahr gibt er jetzt seinem neuen Projekt Zeit: Solange wird das Fotopapier belichtet, das in insgesamt 44 kleinen Blechdosen – mit Loch, versteht sich – steckt, die Derleth in den Ateliers von Künstlerkollegen aufgestellt hat. Ein ähnliches Konzept in Kooperation mit Christian Weigang hatte Anfang dieses Jahres mit Ausstellung und Dokumentation im Zeitungsformat in Nürnberg für Aufsehen gesorgt. Das fantastisch Anmutende an Derleths aktuellem Langzeit-Plan ist die Tatsache, dass ohne Entwicklung auf dem eingelegten Fotopapier Bilder entstehen, die sogar eine ganz eigene Farbigkeit entfalten. Abgebildet wird nur, was statisch ist. Menschen, die während der 365-Tage-Belichtung vor der Kamera herumlaufen, sind zu flüchtig, um einen Eindruck zu hinterlassen. Im Winter 2019/20 wird der Künstler das Ergebnis dieser neuen Reihe präsentieren.

Was dabei herauskommt? Das wird sich zeigen. Sicher, sagt Günter Derleth, ist bis dahin nur eines: "Das Licht verändert alles."

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