Phrasenweise heiter

23.1.2017, 16:30 Uhr
Phrasenweise heiter

© Foto: Rudi Ott

„Gestern Abend haben wir dummes Zeug gequatscht“, sagt Estragon zu Wladimir, „das machen wir schon seit einem halben Jahrhundert.“ Genauer, seit bald 70 Jahren. So lange schon nagen Wladimir und Estragon an den Grundfesten des Optimismus.

Theaterdichter wollen nicht einfach unterhalten. Sie wollen die Welt erklären, die seelischen Abgründe des Menschen ausloten, tragische Fallhöhen nachzeichnen, und das vor allem: Zusammenhänge aufdecken und Sinn stiften, gerade dort, wo Unglück und Katastrophen jeglichen Sinn zu verneinen scheinen.

So war es jedenfalls bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Doch nach der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, dem Völkermord und den traumatischen Erlebnissen der Überlebenden schien die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Lebens obsolet. Warum stirbt dieser und bleibt jener verschont? Ist alles nur ein Spiel aus Zufall und Chaos? Hat sich der göttliche Strippenzieher verabschiedet?

Samuel Beckett griff diese Frage in seinem absurden Stück „Warten auf Godot“ in einer Weise auf, die vielerlei Interpretationen offen steht. Dabei profitierte Beckett wiederum von den filmischen Experimenten zweier Herren, die die Vergeblichkeit alles Handelns noch vor Albert Camus mustergültig und in prägnanter Kürze demonstriert hatten: Stan Laurel und Oliver Hardy, die als „Dick und Doof“ ihre kleine Welt zu Kleinholz verwandeln. Und denen Uwe Weiherer (Wladimir) und Bert Peter Wendt (Estragon) mittels kleiner Bowlerhüte ihren Tribut zollen.

Dabei geht im Stück wie im Spiel unter der Regie von Bagaasch-Chefin Ute Weiherer nichts zu Bruch. Jedenfalls nichts Handfestes. Dafür so ziemlich alle philosophischen und theologischen Gedankengebäude, die die abendländische Philosophie aufzubieten hat. Wladimir und Estragon warten am Wegesrand auf Herrn Godot. Der aber kommt nicht. Gestern nicht, heute nicht und morgen wohl auch nicht.

Ringen mit dem Schuhwerk

Das Warten schürt große Erwartungshaltungen: Offenbar scheinen sich mit Godots Eintreffen alle Dinge zum Besseren zu wenden. Die Wartezeit verkürzen sich die beiden mit absurden Spekulationen, im Ringen mit dem Schuhwerk, mit Machtkämpfen, auch mit Spekulationen über das Leben und die Freiheit, ihr Leben selbst zu beenden. Wobei Uwe Weiherer seinen Wladimir als treibende Kraft, Bert Peter Wendt seinen Estragon eher als bedächtigen Zweifler anlegt.

Kurz vorm dramaturgischen Leerlauf taucht ein zweites Paar auf, Herr und Knecht. Herr Pozzo (Jörg Scheiring) schikaniert seinen Diener Lucky (Karsten Kunde), wo es nur geht; der lässt sich schier alles gefallen, lässt seinen Frust aber ausgerechnet an den unschuldigen Zeugen aus. Der Kampf gegen die Ungerechtigkeit der Welt führt ebenfalls ins Leere. Pozzos plötzliche Blindheit führt auch nicht zur Läuterung.

Das Bühnenbild von Ute Weiherer und Christian van Loock suggeriert Ödnis genauso wie unendliche Weite und Aufbruchstimmung. Ein Panoramafoto aus dem Mittleren Westen der USA öffnet den sandfarbenen Bühnenraum ins Unendliche. Die Handlung selbst definiert sich als Sprechtheater, in dem die Figuren nur Phrasen dreschen und Fragen artikulieren, aber kaum handeln.

Bloß: Ein Stück wie „Warten auf Godot“ wirkt immer im Zusammenspiel mit der scheinbaren Ordnung oder Unordnung im täglichen Leben. Das funktioniert hervorragend, wenn die Dinge festgefügt sind oder sich nach Krisen wieder zu rekonstituieren scheinen. Doch heute, da ein beratungsresistenter, instinktgesteuerter, politisch unerfahrener Machtmensch wider alle Vernunft die Führung des mächtigsten Staates der Welt übernimmt, hat das Absurde Theater nunmehr globale Dimensionen angenommen. Dem gegenüber verpufft selbst der schwarze Humor von Becketts Stück. So eignet der Inszenierung unter Ute Weiherer der Eindruck des Affirmativen, des Fatalismus, ja des gespenstisch Musealen an. Wer weiß, vielleicht kommt mit Godot einfach nur das Ende.

„Warten auf Godot“: Weitere Aufführungen am 27., 28. und 29. Januar, jeweils 20 Uhr, Kulturforum (Würzburger Straße 2). Karten im FN-Ticket-Point (Breitscheid-Straße 19, Tel. 2 16 27 77) und an der Abendkasse.

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