Posten-Poker mit Heißluft

8.11.2011, 10:00 Uhr
Posten-Poker mit Heißluft

© hvd

Er war höher aufgestiegen als es seiner Kompetenz entsprach. Wenn das Peter-Prinzip, nach dem man so lange befördert wird, bis man auf einer Position sitzt, für die man eigentlich nicht befähigt ist, zutraf, dann in seinem Fall. Jetzt war er oben, auch wenn er während und kurz nach dem Aufstieg ein ungutes Gefühl gehabt hatte.

Was, wenn jemand bemerkte, dass er inkompetent war? Was, wenn ihn jemand öffentlich als unfähig entlarvte? Die Sorge, ja Angst, bescherte ihm zahlreiche schlaflose Nächte, in denen er in immer ähnlichen Alpträumen von Untergebenen bloßgestellt wurde. Furchtbar! Es war schlimmer, als mittags nackt auf dem Marktplatz zu stehen. Auch so ein Traum!

Aber dann war etwas sehr Merkwürdiges geschehen: nichts! Die Tatsache, dass er nichts von der Sache verstand, schien keine Rolle zu spielen. Er hatte feststellen dürfen, dass es eigentlich den wenigsten im Ministerium um die Sache ging. Spätestens ab seiner Ebene, das lernte er schnell, ging es eigentlich nur noch darum, so zu wirken als sei man kompetent. Es war ein wenig wie Pokern. Es kam nicht darauf an, welches Blatt man in den Händen hielt, sondern wie gut man zu bluffen verstand. Die Arbeit machten sowieso die anderen, die, die unten waren.

Delegieren hieß das Zauberwort – an fähige Mitarbeiter. Die Kunst eines unfähigen Vorgesetzten bestand darin, zu delegieren und nebenbei den Kompetenzlevel des Mitarbeiterstabes, auf den man angewiesen war, trotzdem nicht zu hoch werden zu lassen. Denn dann hätte man ja einfach alles delegieren müssen, auch die Präsenz in den Sitzungen, in denen man die Projekte seines Ministeriums anderen Abteilungsleitern immer wieder erläutern musste. Das kann man nicht, wenn man sehr viel unfähiger ist als die, die alles ausgearbeitet haben. Eine gewisse geistige Nähe zu den Untergebenen ist für einen unfähigen Vorgesetzten lebenswichtig. Sonst schafft er sich quasi selber ab. Natürlich gab es gelegentlich Mitarbeiter, die mit der „Sache“ kamen. So kluge, fleißige Typen. Das waren immer die, die wussten, wie es um ihn stand und ihn das auch spüren ließen, zum Beispiel mit gezielten Fachfragen, von denen sie wussten, dass die ihn überforderten. Dann wurde die Gefahr unmittelbar.

Solcher Mitarbeiter entledigte er sich nach und nach, beispielsweise, indem er ausdrücklich ihre Tüchtigkeit lobte und sie beförderte – auf irgendeinen Posten, auf dem sie wahrscheinlich endlich überfordert waren. Ersetzt wurden sie durch gefälligere Zeitgenossen. Nach und nach hatte er sich mit einem Kreis willfähriger Langeweiler umgeben. Auch fleißig, aber ohne Esprit. So hatte er sich eingerichtet in der Verwaltung seiner Macht.

Es gab eigentlich nur eine Gefahr. Irgendeine Bürgerbewegung, die mit Gutachten von nicht zu widerlegendem Sachverstand seine Pläne als das entlarvten, was sie waren: heiße Luft. Nicht, dass auf seiner Ebene und darüber irgendeinen Menschen so etwas inhaltlich interessiert hätte. Aber die Stimmung! Wenn die Stimmung umschlug und die Wähler wegblieben, dann gab es vielleicht bald keine Macht mehr zu verwalten. Furchtbar!

Jedenfalls ging alles seinen mittlerweile gewohnten Gang. Sein Leben floss dahin wie ein ruhiger Strom mit sehr flachem Gefälle. Naja, vielleicht nicht wie ein Strom, eher wie ein Bach, ein Rinnsal, das irgendwo am Horizont versiegt, ohne Aufsehen, ohne dass überhaupt irgendjemand Notiz nimmt. Ausgetrocknet, weil die Substanz zu gering gewesen war, um schließlich irgendein Meer zu speisen.

Mit trockener Kehle erwachte er eines Nachts aus einem Traum, den er als Alptraum empfand, obwohl er ihm nur diese Wahrheit vor Augen geführt hatte. Jetzt war der Strom da. Kerzengerade saß er in seinem Bett und stand unter Strom. 100000 Volt.

Außen war er schweißgebadet und innen trocken wie der Tod. Er lebte nicht! Nicht wirklich! Die Erkenntnis, irgendwo in der Halbwelt zwischen Traum und Wirklichkeit gewonnen, traf ihn wie ein Blitz.

Als er am nächsten Morgen um seine Versetzung bat in eine der Abteilungen weiter unten, sah er in verständnislose Gesichter. Darauf war niemand vorbereitet gewesen in den oberen Etagen, dass da einer aus ihren Reihen freiwillig sein mieses Blatt aufdeckte.

Das hatte es noch nicht gegeben. Ein Irrer, der irgendwas von Verantwortung faselte, von Erfüllung an einem Platz, der seinen Fähigkeiten entsprach. Wo sollte dieser Platz sein? „Was können Sie denn“, fragte sein sichtlich genervter Vorgesetzter. Was für eine Frage! Eine, auf die er keine Antwort wusste. Aber er wusste nun, dass er die Antwort suchen würde. 

 

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