Rätsel bei Ausgrabung: Roßtals halbes Pferd

21.4.2017, 11:00 Uhr
Rätsel bei Ausgrabung: Roßtals halbes Pferd

© Foto: Horst Linke

Was ist vor gut 1000 Jahren hier passiert? Archäologin Sabine Stoffner, stellvertretende Grabungsleiterin in Roßtal, kann nur mutmaßen. Nicht viel mehr als einen halben Meter unter der Oberfläche haben sie und das Team der Firma "Streichardt & Wedekind Archäologie" aus Göttingen ein Skelett entdeckt: kein menschliches, sondern das eines Pferdes. Schädel, Rückgrat und einige Rippenbögen sind gut zu erkennen. Hätte es noch Fell und Muskeln – das Tier liegt da, als sei es eben erst in die Grube gestürzt. Doch auf den zweiten Blick wird klar, es ist nur ein halbes Pferd. Was ist mit dem hinteren Teil passiert? Von welchem Tier stammt der zweite Schädel in der Grube? Von einem Hund oder einem Schwein?

"Da werden wir noch überlegen müssen", sagt Martin Nadler vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Auf Spekulation lassen sich die Spezialisten nicht ein. Sie sind schließlich Wissenschaftler. Klar ist so viel: Wo künftig eine Betreuungseinrichtung für 125 Kinder steht, lebten und arbeiteten im zehnten Jahrhundert die Urahnen der Roßtaler. Für den Laien nur schwer zu erkennen sind die Relikte eines Grubenhauses: aus unserer heutigen Sicht eine winzige, primitive Behausung von etwa zehn Quadratmetern. Dazu wurde eine Grube ausgehoben, in die Ecken vier Pfosten gerammt und ein Strohdach darauf gesetzt — fertig. Vor Niederschlägen geschützt wurde darin gearbeitet, gekocht, geschlafen, oder es diente als Vorratslager.

Dass es den Roßtalern von einst in der Besiedlung gut ging, davon zeugen die vielen Knochenfunde: Geflügel und Schwein. "Schwein war schon damals eines der Hauptnahrungsmittel", weiß Martin Nadler. Um die Knochen genau zu bestimmen, wird vermutlich noch ein Zoologe hinzugezogen. Auch welche Pflanzen damals in der Gegend wuchsen, wird sich feststellen lassen, wenn die Bodenproben ausgewertet sind.

Kleine Scherben oder ein Gewicht, das an einem Webstuhl die Fäden straff hielt, gehören zu den weiteren 1000 Jahre alten Objekten, gefertigt von Menschenhand. Mit dem Mini-Bagger und hauptsächlich mit den Spaten hat das Grabungsteam sie wieder ans Tageslicht geholt.

"Es erspart den Gang ins Fitness-Studio", meint Sabine Stoffner. Seit drei Monaten arbeitet das bis zu zehnköpfige Team auf dem 3400 Quadratmeter großen Areal, hat rund 500 Befundstellen markiert und genauestens dokumentiert. "Eine sehr hohe Dichte", wie Nadler kommentiert. Das technisch aufwendigste Instrument der Wissenschaftler aus Göttingen ist der Tachymeter, ein Messinstrument für Entfernungen und Höhenunterschiede. Es ermöglicht, später am Computer die Besiedlung wiederauferstehen zu lassen. Von der Grabungsstelle selbst wird schon bald nichts mehr zu sehen sein, spätestens wenn die Bodenplatte für die Kindertagesstätte fertig ist, ist sie wieder ein unsichtbares Bodendenkmal.

Dann geht es an die Auswertung der entdeckten Objekte. Doch bis alle Funde korrekt bestimmt sind, ein Bild von der Besiedlung entsteht und gar im Roßtaler Heimatmuseum eine Ausstellung zu sehen ist, wird es noch Monate dauern. Das Göttinger Grabungsteam wird derweilen schon an anderer Stelle erwartet, es ist kreuz und quer in ganz Deutschland unterwegs. "Das Grabungsgeschäft boomt, denn aktuell wird allerorten gebaut", erläutert Martin Nadler vom Landesamt.

Auch in Roßtal wird das vermutlich nicht die letzte Grabung sein. Aus historischen Quellen ist bekannt, dass dort schon in der karolingischen Epoche im achten und neunten Jahrhundert auf dem Felsplateau ein Königshof stand. Von einer gut befestigten Burg ist bei dem mittelalterlichen Chronisten Widukind von Corvey die Rede, als er eine Schlacht aus dem Jahr 954 erwähnt und vom mächtigen Kastell Horsadal (früherer Name für Roßtal) schreibt. Seine Bedeutung verliert das geografisch günstig an Handelswegen gelegene Roßtal erst mit dem Aufstieg Nürnbergs.

Keine Kommentare