Roßtal erinnert an die Zeit des Zusammenrückens

30.10.2016, 09:00 Uhr
Roßtal erinnert an die Zeit des Zusammenrückens

© Foto: Rempe

Ein abgegriffenes Kochbuch mit Rezepten für Liwanzen und Powidltascherln. Ein Trinkglas für ein Kind, dekoriert mit Kirschen und einem Goldrand, der kaum noch zu erkennen ist. Beinahe unbenutzt schaut die glitzernde Kaffeekanne daneben aus. Ein Hochzeitsgeschenk von 1938, geschmückt mit der Silhouette der prächtigen Kurstadt Karlsbad. Vereint in einer Vitrine im Roßtaler Museumshof erzählen die drei Teile, die auf den ersten Blick nicht viel zu verbinden scheint, von Verlust, Flucht und Neuanfang.

Reinhard Baumann hat die Ausstellung, die vom Heimatverein und der Sudetendeutschen Landsmannschaft Roßtal initiiert wurde, mit Gerhard Ruß und Siegfried Münchenbach zusammengetragen. Baumann macht klar: „Das Glas oder die Kanne sind Erinnerungsstücke, deren Bedeutung nicht zuletzt daher rührt, dass die Vertriebenen damals so gut wie nichts mitnehmen konnten.“ Das Kochbuch gehörte zum Beispiel seiner Großmutter. „Auch meine Mutter stammt aus der Gegend um Marienbad, sie zählte zu denen, die 1946 nach Roßtal kamen.“ Der 68-Jährige machte bei der Vorbereitung der Ausstellung eine Feststellung, die ihn erstaunte: „Es war nicht leicht, Unterlagen zu diesem Thema zu finden.“

Er sah sich in den Archiven der Gemeinde und des Landeskreises um, suchte im Nürnberger Staatsarchiv. Seine Hoffnung, etwa Belege über beschlagnahmte Zimmer zu finden, wurde nicht erfüllt. Auch Angaben über Bevölkerungszahlen oder vorhandene Wohnungen entdeckte er nur lückenhaft: „Deshalb gibt es auf den Schautafeln jetzt einige leere Flächen.“

Doch was Baumann zusammengetragen hat, spricht trotzdem eine deutliche Sprache. Von den rund tausend Menschen, die vor siebzig Jahren in das Gebiet des heutigen Marktes kamen, mussten etwa 600 in der damaligen Gemeinde Roßtal selbst – die rund 2000 Einwohner hatte – untergebracht werden. Die Menschen, die kamen, hatten alles verloren und traumatische Erlebnisse hinter sich. Aber: „Selbstverständlich standen die alteingesessenen Roßtaler auch vor großen Herausforderungen.“

Es fehlte so ziemlich an allem – Wohnraum, Nahrung, Heizmaterial. Man musste zusammenrücken, teilen und einen Weg finden, miteinander zu leben. Unter den vielen Details und Dokumenten steht in den Anmerkungen zur Ausstellung auch eine Wahrheit, die einen schwierigen Punkt berührt: „Fremde sind nicht immer willkommen. Das war vor 70 Jahren nicht anders als heute.“

Die gewaltige Integrationsleistung gelang. Zunächst musste jedoch die drängende Frage beantwortet werden, wie die vielen Menschen untergebracht werden können: „Innerhalb eines Jahres wurden die Wohneinheiten in Roßtal verdoppelt.“

In den folgenden Jahren entstehen neue Siedlungen, die neuen Bürger übernehmen kommunalpolitische Aufgaben und Verantwortung, treten in Vereine ein, engagieren sich. In einer Vitrine wird an die „Flüchtlingskapelle“ erinnert, die schon 1947 gegründet wurde. Unter der Leitung von Franz Kriegelstein wurde erfolgreich aufgespielt. Die Original-Violine des Kapellmeisters ist jetzt im Museumshof zu bewundern. Oder zumindest das, was von dem mit sichtlicher Leidenschaft abgespielten Instrument übrig geblieben ist . . .

Vervollständigt wird der Rückblick auch mit einigen Stücken aus dem Fundus des Heimatvereins. Dazu gehören unter anderem Original-Festtagskleider aus dem Egerland.

Die Sonderausstellung „1946 – Vertreibung, Ankunft, Integration“ im Museumshof, Schulstraße 13, in Roßtal ist bis 2. April zu sehen. Geöffnet ist jeweils am ersten Sonntag im Monat. Führungen nach Vereinbarung unter Telefon (0 91 27) 96 53.

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