Schattentänzer in Gottes großen Händen

2.12.2017, 18:46 Uhr
Schattentänzer in Gottes großen Händen

© Foto: Giulia Iannicelli

In der Castingshow "America’s Got Talent" gelangten The Silhouettes mit ihrem Schattentanz bis ins Finale und bewegte die Zuschauer zu Standing Ovations. Und tatsächlich ist es eine erstaunliche Show, überraschend und überragend getanzt.

Die Ästhetik der Leinwandbilder, das Zusammenspiel von Bild, Musik und der Ausdruckskraft des menschlichen Körpers ist erstklassig — zum Beispiel, wenn die beiden Protagonisten um die Welt reisen. Aus den Schatten der anderen Tänzer entstehen die Tower Bridge, das Taj Mahal, die Sphinx, es gibt heitere Szenen, in denen eine störrische Ziege gemolken wird und Kakteen, Pferde sowie seltsame Meerestiere auftauchen. Alle erschaffen aus nichts anderem als den Schatten der Künstler.

Wenn The Amazing Shadows sich darauf beschränkten, eine sekundengenau getaktete, ästhetisch gelungene und künstlerisch perfekte Show zu sein, gäbe es nichts daran auszusetzen. Es sind allerdings Abende wie diese, die die Frage, ob Feminismus heute noch nötig ist, mit einem lauten, klaren, unmissverständlichen Ja beantworten.

John und Annie, die Helden des Schattenspiels, sind ein typisches amerikanisches Paar. Als Kinder spielen sie zusammen, verlieben sich, reisen um die Welt, werden dann getrennt. Johnny sucht das Abenteuer und segelt um die Welt, und wenn der Schiffbruch, den er erleidet, auch spektakulär und beeindruckend ist, so stößt es einem doch sauer auf, dass Annie in der Zeit daheim den Weihnachtsbaum schmückt und nichts Besseres zu tun hat, als an ihren Geliebten zu denken. Und als wäre das nicht schon Klischee genug, entschließt sie sich dann, ihre Träume in Hollywood zu erfüllen, wo sie erwartungsgemäß ebenfalls Schiffbruch erleidet, von ihrem schnöseligen Verehrer verstoßen und dann von Johnny gerettet wird.

Der ist selbst in seiner Not von einer riesenhaften Hand aufgerichtet worden, die als Gottes Hand zu interpretieren sicher nicht zu weit hergeholt ist; das naive Mädchen hingegen hat seine Rettung dem Herzallerliebsten zu verdanken, und komplett ist sie erst in dem Moment, in dem er einen Ring hervorholt. Gerettet durch Heiratsantrag: Reaktionärer lässt sich so eine Szene kaum gestalten, und die Tatsache, dass der kreative Kopf hinter dieser Tanzcompagnie eine Frau, nämlich Lynne Waggoner-Patton, ist, macht die Sache eher noch schlimmer.

Der letzte Teil bremst die Empörung über steinalte Rollenbilder dann doch wieder etwas, einfach, weil die Show sich noch so viel länger hinzieht als nötig und zunehmend so kitschig wird, dass die Reaktionen des Publikums denn auch entsprechend ausfallen. Ehrlicher Beifall für die unglaubliche Tanz- und Synchronisationsleistung der Tänzer, das eine oder andere schmachtende "Oh!", aber auch Erheiterung angesichts der vollkommen ironiefreien Ernsthaftigkeit, mit der hier plakative Wohlfühlbotschaften vermittelt werden — nicht nur im Tanz, sondern in Potenz noch durch den Erzähler. Gerade so, als drohe größte Gefahr, die Bedeutung von hundert pinkfarbenen Herzen auf der Leinwand irgendwie misszuverstehen.

Verwandte Themen


Keine Kommentare