"Schöner als Schmuck": Besuch beim Fürther Schraubenhandel

2.9.2018, 21:00 Uhr

© Foto: Thomas Scherer

Mit einem Arbeitsvertrag für die Porzellanfabrik Bauscher im oberpfälzischen Weiden in der Tasche kam Anna-Maria Pylypiw-Burgos vor über 50 Jahren im Winter 1967 nach Deutschland. "In Weiden lag so viel Schnee. Ich hatte noch nie in meinem Leben Schnee gesehen", erinnert sich die fröhliche Spanierin. "Samstag kamen wir an und zogen in den Container, am Montag ging die Arbeit los."

Pylypiw-Burgos sprach kein Wort Deutsch, auch kein Englisch; eine Schule hatte die 18-Jährige nie besucht. "Die Arbeit bei den Brennöfen war interessant, aber es war eine schwere Arbeit. Ich wog damals 46 Kilo", sagt die noch immer schlanke 68-Jährige, die bunte spanische Mode trägt und offen über Höhen und Tiefen ihres Lebens spricht.

Mit dem Koffer auf dem Kopf

In die Oberpfalz war Pylypiw-Burgos gekommen, weil dort bereits ihre Schwester lebte. Begleitet auf der Zugreise von der Hafen- und Industriestadt Vigo in Galizien über Frankreich nach Deutschland hatte Pylypiw-Burgos ihr Bruder. "Wir kamen aus einem kleinen Ort, wo es noch üblich war, die Koffer auf dem Kopf zu tragen", erzählt die Unternehmerin. "Ich habe mich gewundert, warum mich alle so angestarrt haben, als ich mit dem Koffer auf dem Kopf durch den Bahnhof in Nürnberg gelaufen bin."

Es ist diese entwaffnende Ehrlichkeit, die einen beim Zuhören staunen lässt. "Ich bin so wie ich bin", sagt Pylypiw-Burgos. "Mein Vater hat immer gesagt: Fürs Armsein brauchst du dich nicht zu schämen." Mit 14 Jahren hatte er Pylypiw-Burgos ihr erstes Paar Schuhe geschenkt. "Das war besser, als wenn ich im Lotto gewonnen hätte", erinnert sie sich noch immer mit einem Leuchten in den Augen.

Nach Fürth und zum Schraubenhandel kam Anna-Maria Pylypiw-Burgos über ihren Mann, den sie 1971 heiratete und dessen Schwester in Nürnberg lebte. Dort fühlte sich die Spanierin nicht so wohl, sie wohnte unweit des Plärrers, wo es bekanntermaßen recht laut ist und wo sie ihre beiden Töchter nicht alleine zum Bäcker schicken konnte. "Aber in Fürth finde ich es sehr, sehr schön", sagt sie. "Alles ist kleiner, und früher gab es so viele Bäcker. Das fand ich toll."

Schrauben waren dagegen nicht gerade Pylypiw-Burgos’ Passion. "Ich hatte keine Ahnung von Schrauben", gibt sie unumwunden zu. Heute gerät sie dagegen ins Schwärmen, wenn sie von ihren Produkten spricht. "Es gibt so schöne Schrauben. Mir gefallen meine Schrauben besser als Schmuck." Dabei war der Start in die Selbstständigkeit 1979 keineswegs einfach. "Mein Mann war gelernter Maschinentechniker, und das Verkaufen hat ihm immer Spaß gemacht", erinnert sich Pylypiw-Burgos. "Er hatte die Idee, einen Schraubenhandel aufzumachen, und das hat er durchgezogen."

Nachdem die Pylypiws in der Amalienstraße ein geeignetes Geschäft samt Wohnung gefunden hatten, wagten sie die Unternehmensgründung. "Die ersten Jahre waren schwer, vielleicht auch wegen unseres ausländischen Namens", resümiert die Chefin. Dabei war ihr Mann gebürtiger Deutscher. "Viele dachten auch, dass wir für ein Unternehmen verkaufen, und verstanden gar nicht, dass wir selbstständig sind."

Nach und nach hätte sich das Angebot aber herumgesprochen, und es seien immer mehr Kunden gekommen. Das Gros davon seien heute Geschäftskunden, so Pylypiw-Burgos. Das Spektrum reiche von kleinen Handwerksbetrieben, etwa Autowerkstätten und Schreinereien, bis hin zu großen, namhaften Unternehmen, beispielsweise aus der Automobil- oder Maschinenbaubranche. Das Einzugsgebiet gehe bis nach Bayreuth, Hof und Neumarkt. Auch Internetbestellungen mit größeren Stückzahlen würden abgewickelt. Im Laden werden dagegen selbst kleinste Mengen verkauft.

Die ersten acht Jahre nach der Existenzgründung hätten sie sich keinen Urlaub gegönnt und nur um Weihnachten herum kurz geschlossen, wenn ohnehin sehr wenig im Laden los gewesen sei, erinnert sich Pylypiw-Burgos. Kurz vor der Jahrtausendwende zog der Schraubenhandel dann an seinen heutigen Standort in der Ludwigstraße. Die Pylypiws kauften dort das Gelände einer früheren Schreinerei, bauten es um und erweiterten es zu einem rund 100 Quadratmeter großen Laden nebst einem etwa zweieinhalb mal so großen Lager.

Fröhliches Gemüt

Da stehen nun fein säuberlich sortiert in Schachteln und Magazinen verzinkte und weiße Schrauben neben solchen aus Edelstahl, die gut für den Außenbereich geeignet sind. Es gibt Schrauben mit besonderen Köpfen und Legierungen und von verschiedenen Härten, illustriert die Spanierin, die an den Deutschen vor allem deren Pünktlichkeit und Verlässlichkeit schätzt. In ihrem Herkunftsland sei das alles viel laxer, dafür seien die Menschen dort lockerer und fröhlicher. "Ich stehe jeden Tag auf und lache schon", sagt sie. "In Deutschland haben die meisten so viel und sind trotzdem nicht zufrieden. Das ist schade."

Wenn es geht, kauft sie bei deutschen Qualitätswerken, berichtet die Unternehmerin, die 2012 nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes den Schraubenhandel übernommen hat. "Ich versuche, das Geschäft im Geiste meines Mannes weiterzuführen", sagt Pylypiw-Burgos. Sie hofft nun ihrerseits, dass eine ihrer Töchter — sie arbeitet bereits mit ihrem Mann im Schraubenhandel mit — den Betrieb einmal übernimmt.

"Millionärin werde ich nicht mehr", sagt die 68-Jährige. Aber sie habe ein gutes Auskommen für sich und ihre Angestellten erreicht. Eine Lektion aus ihrem bewegten Leben will sie ihren vier Enkeln gerne mit auf den Weg geben: "Wenn man will, kann man alles. Es kostet Kraft, aber es geht." So und mit einer positiven Lebenseinstellung habe sie auch die Krise nach dem Tod ihres Mannes gemeistert. "Da dachte ich, die Welt geht unter."

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