Sevilla ist überall

6.2.2016, 15:33 Uhr
Sevilla ist überall

© Foto: Schneider

Unverkennbar: Nicht Spanien im 16. Jahrhundert, sondern ein US-Midwest-Kaff an Halloween, der Komtur nicht standesgemäß im Duell erstochen, sondern brutal auf die Treppenstufen geknallt. Im ambitionierten Salzburger Dreispartenhaus gleich gegenüber vom Hotel Sacher ist Jacopo Spireis unbekümmert unhistorische Inszenierung seit der Premiere 2011 der große Mozart-Renner.

Jetzt die Wiederaufnahme, betreut von dem Regisseur, der Ende Februar am gleichen Haus das Cowboy-Drama „Brokeback Mountain“ als Oper herausbringt, mit dem 1. Kapellmeister, teils mit der ursprünglichen Besetzung. Aber das alles war — zack, Licht aus, Ouvertüre an — erst mal Nebensache. Denn Adrian Kelly legt mit Mozart sowas von los, dass einem schwindlig wird. Und das den ganzen Abend lang. Auch dadurch wird dieser „Don Giovanni“ von der Salzach so kurzweilig wie selten. Straff, schlank, mit nimmermüder Dramatik setzen Kelly und das Mozarteumorchester von Anfang an auf bebende Spannung, wenn die leeren Bierdosen von der Veranda klappern, wo der Diener des Don (prächtig in Spiel und bei Stimme: Sergio Foresti) Wache vorm Indoor-Liebesspiel hält. Denn darum geht es in diesem Stück auch: um offene und versteckte Anmache. Nicht auf der Domplatte, sondern in der von vielen Westentaschencolts bewachten Kleinbürgeridylle von Masetto und Zerlina (Raimundas Juzuitis und Hannah Bradbury), wo man die Freizügigkeit des fremden Don als Konkurrenz versteht. Sevilla ist offenbar überall. Und deswegen fahren neben Don Giovanni am Ende auch alle Grabscher mit in die Hölle.

Bekifft beim Dinner

Das ist nicht die einzige Denksportaufgabe, die der italienische Regisseur dem Publikum aufgibt: Hat der Komtur bei sich daheim ein Mädchenpensionat, oder hat Donna Anna vier Schwestern? Sind es die, die beim letalen Dinner am Ende als bekiffte Schlampen bei Don Giovanni herumlungern? Viel wichtiger aber ist, wie scharf der Regisseur in dieser ungewohnten Umgebung die Personen belichtet, besonders den adretten Don Ottavio (Kristofer Lundin), der bei seiner Verlobten Donna Anna und mit dem Schießprügel nie zum Schuss kommt, frustriert ist, aber sich zu lange nicht wundert, was seine leicht verhüllte Braut mit dem Don zu schaffen hatte.

Besonders in den vielen Arien vermittelt Spirei mit seinen subtilen Beobachtungen solche „Querschnitte“ durch die jeweilige Psyche, etwa in den Temperamentsausbrüchen der Donna Elvira (Tamara Gura) oder der lodernd singenden Donna Anna (Lavinia Bini). Manches hätte Spirei da noch deutlicher auftragen können; da bläst die Inszenierung die Backen auf und vergisst das Pfeifen. Endlich aber driftet die da-Ponte-Geschichte doch Richtung Stephen King ab — hinterhältiger als hier kann der schmierige Don sein „Reich mir die Hand mein Leben“ wirklich nicht singen. Überhaupt ist Simon Schnorr, schlank, baumlang, sexy und à la King geschminkt, die halbe Miete der Aufführung: darstellerisch mit feinen Nuancen, stimmlich präzise und präsent, eine Idealbesetzung wie früher Thomas Hampson.

Auch nach drei Stunden lässt die Spannung in den letzten Szenen nicht nach: Überzeugend gelingt das Pizza-Chips-Chaos des Abendessens, zu dem Don Giovanni den Komtur (James Moellenhoff) eingeladen hat. Der liegt im offenen Sarg eines Bestattungsinstitutes und orgelt seine Gegeneinladung ins Jenseits mit markantem Bass und nimmt alle Möchtegern-Giovannis mit ins Fegefeuer.

Wenn die Überlebenden das halb-glückliche Ende besungen haben, fällt verdächtig schnell der Vorhang über Bettina Richters überraschend beweglicher US-Idylle und über einer in vieler Hinsicht überzeugenden Mozart-Interpretation als Western-Westentaschen-Giovanni. „Così fan tutte“ gäbe es von Spirei am Landestheater ebenfalls zu sehen – vielleicht wäre auch diese Produktion eine Einladung nach Fürth wert. Die Applausgrade zeigten: Das Publikum ließ sich von der ungewohnten Lesart überzeugen.

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