Spezialist für Problemfüße

17.11.2012, 10:00 Uhr
Spezialist für Problemfüße

© Roland Huber

Wer den Laden betritt, setzt seinen Fuß nicht auf Laminat, PVC, Parkett, Fliesen oder Beton, sondern auf Teppichboden und orientalische Auslegeware. Die schluckt jegliches Absatzgeklapper, und so wird ein anderes Geräusch hörbar: das Bullern des Ölofens im Eck, der ein wenig fremd vor den Wänden mit ihrem frischen, frühlingsgrünen Anstrich steht.

Marianne Bandlow (68) und Gertrud Baier (75) führen das Geschäft in vierter Generation, und sie sagen, Hofer sei das älteste Schuhhaus von Nürnberg und Fürth. Ihr Urgroßvater Jakob Hofer, ein Orthopädieschuhmachermeister, hat es 1886 gegründet. Nach den Anfängen in der Königstraße siedelte der Betrieb um in die Ludwig-Erhard-Straße, damals noch Sternstraße. Das war um die Jahrhundertwende. Im Haus mit der Nummer 19 hatte 1856 Heinrich Berolzheimer das Licht der Welt erblickt, ein großer jüdischer Gönner und späterer Ehrenbürger der Stadt.

Jakob Hofers Leitsatz geht den Urenkelinnen heute noch locker über die Lippen: „Schuhe, die nicht drücken — Schuhe, die beglücken“, reimen sie gemeinsam und lachen. Man war und ist spezialisiert auf „Problemfüße und auf Bequemschuhe“. Letztere sollen modisch aussehen und doch Platz bieten für Einlagen, die der Arzt wegen eines Fersensporns, einer Hammerzehe oder anderen Beschwerden verordnet hat. „Die Kunden kommen mit ihren Einlagen und kaufen den Schuh dazu“, erklärt Gertrud Baier.

Spezialist für Problemfüße

© Repro: FN

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs übernahmen Jakob Hofers Sohn Christian und seine Frau Johanna das Geschäft. Aus der Firmenchronik geht hervor, dass der junge Schuhmachermeister Schaftstiefel für Offiziere fertigte und sechs Gesellen beschäftigte. Mit seinem Tod 1929 wurde es still in der Werkstatt im Rückgebäude. Nur der Einzelhandel blieb.

Christian und Johanna Hofers Tochter Barbara Hofer, die nach ihrer Heirat Däubler hieß, führte das Geschäft, bis sie im Jahr 2002 starb. Dann übernahmen ihre Töchter Marianne und Gertrud. Beide sind mit dem Schuhhandel groß geworden. Früher verdiente die Familie ihren Lebensunterhalt im Erdgeschoss und wohnte im ersten Stock. Auch die Gesellen lebten im Haus.

Heute stehen die oberen Etagen leer. Eine Sanierung drängt, doch Marianne Bandlow winkt ab: „Zu teuer, das käme auf über zwei Millionen Euro, das Haus steht ja unter Denkmalschutz.“

Man kennt heutzutage zwei Sorten von Schuhgeschäften: perfekt ausgeleuchtete Einkaufstempel, die ihr überquellendes Angebot in allen Formen, Farben, Größen zur Schau stellen, einerseits und die Discounter-Variante mit schmalen Durchgängen zwischen Türmen aus Kartons andererseits. Hofer ist nicht das eine und nicht das andere. Ob Stiefel, Stiefelette, Halbschuh, Pantoffel oder Pantolette: Von jedem Modell — es gibt Damen- und Herren-, aber keine Kinderschuhe mehr — wird hier nur je ein Exemplar offen präsentiert, alle anderen bleiben in den Schachteln, die an den Wänden in Regalen fein säuberlich gestapelt sind.

„Wir sind kein Vorwahlgeschäft, wir haben fünf Weiten, wie soll der Kunde da erkennen, welche zu ihm passt?“, begründet Gertrud Baier das System mit knorrigem Charme. Und: „Die Kunden sagen, was sie suchen. Ich bring’ es ihnen. Das war bei uns schon immer so. Außerdem kann ich’s nicht haben, dass jeder da rumschlupft.“

Wer nichts versteht von Wechselfußbetten und Brandsohlen, den belehrt die 75-Jährige, nicht ohne zu betonen, wie wichtig Qualität und gute Materialien sind und wie wenig viele Menschen davon verstünden. Ihre Devise: Wer deutsche Markenware kaufe, spare sich ein Spray gegen Schweißfüße. Dass es so was gibt, hat Gertrud Baier von einem Kunden erfahren, wie sie kopfschüttelnd berichtet.

Sie nimmt eine schwarze Stiefelette aus einem der Regale: „Schauen Sie, dieser Schuh hier, der ist doch wie ein Handschuh oder nicht?“ Ein kurzes Tasten. Die Frau hat recht, das Leder fühlt sich butterweich an. Baiers Augen leuchten, sie ist in ihrem Element.

Gertrud Baiers und Marianne Bandlows Kinder haben andere Berufe ergriffen. Wenn die Schwestern den Laden eines Tages schließen und ihn am nächsten Tag nicht wieder öffnen, wird es also vorbei sein mit der Tradition des Schuhhauses Hofer in Fürth.

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