„Straßenkreuzer“-Lesung: Geschichten vom Rand der Gesellschaft

2.3.2014, 12:00 Uhr
„Straßenkreuzer“-Lesung: Geschichten vom Rand der Gesellschaft

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Den Auftakt machte aber Christopher Geier, Gitarrist und Sänger der Erlanger Punk-Rock-Band Dead City Rockets, der auch die Idee zur Veranstaltung hatte. Er stimmte mit dem Song „Fireball“ von Tony Sly auf die Lesung ein. Sinngemäß geht es darum, dass es zwei Welten in einer Stadt gibt — aber nur über einer Hälfte morgens die Sonne aufgeht.

Passender hätte er nicht zu den „Straßenkreuzer“-Autoren überleiten können. Ihre Gedanken, schöne und bedrückende Erlebnisse beim Verkauf der Zeitschrift, Beobachtungen und Begegnungen, Kleinigkeiten, die einen grauen Tag ein wenig heller werden ließen — all das haben sie zu Papier gebracht. Die Aufregung, vor Publikum zu lesen, war spürbar, legte sich aber im Verlauf des Abends. Den Zuhörern gaben sie Einblick in unbekannte, von vielen gern verdrängte und übersehene Existenzen.

Die Offenheit, mit der Andreas Schütze zum Beispiel von seiner Zeit auf der Straße erzählte, war für die gespannten Zuhörer ein großer Vertrauensbeweis. Er sei 23 Jahre lang „Clochard“, also immer unterwegs gewesen, erzählte der 65-Jährige, und habe auf leise Art um Geld gebeten, sprich einen Hut oder eine Mütze vor sich gelegt. „Ich habe niemals aggressiv gebettelt“, erklärt der gelernte Hufschmied und umgeschulte Koch stolz. Bis heute trägt er Werkzeuge am Gürtel und ein schwarzes Tuch verwegen um den Kopf gebunden — ganz so, als wäre er jederzeit bereit, wieder aufzubrechen. Seit über zwei Jahren lebt er in Nürnberg und ist seit einiger Zeit geschätztes Mitglied in der Schreibwerkstatt, in der unter sensibler Anleitung erfahrener Journalisten die Texte erarbeitet werden.

„Wir halten jeden Monat zwei Seiten des Heftes für die Werkstattbeiträge offen“, erzählte die verantwortliche Redakteurin Ilse Weiß den Zuhörern. Da einige Teilnehmer krankheitsbedingt ausgefallen waren, las auch sie Texte von Werkstatt-Autoren vor. Erstmals 1994 herausgegeben, erscheint der „Straßenkreuzer“ mit einer Auflage von bis zu 14000 Stück pro Monat und wird von 50 bis 60 Verkäufern in Nürnberg, Fürth, Erlangen, Schwabach und Roth angeboten. Menschen mit wenig Geld, Langzeitarbeitslose, mittellose Rentner und Obdachlose kaufen den „Straßenkreuzer“ für 90 Cent pro Stück im Vertriebsbüro in der Wärmestube und verkaufen die Zeitschrift für 1,80 Euro.

„Wir als Verkäufer reden gern mit unseren Kunden, denn die Bindung zu ihnen ist das A und O“, sagte Bertram Sachs, der seine „Straßenkreuzer“ gern gezielt nach Kulturveranstaltungen in Fürth anbietet. Als Beruf gab der 56-Jährige „Lebenskünstler“ an. Er sei „mit Leib und Seele“ Lagerist gewesen, doch seit er keine Arbeit mehr habe, lebe er von seinem Einkommen aus dem Zeitschriftenverkauf. „Ich liebe Fürth extrem“, sagte er, hier verbringe er viel Zeit.

Peter Nensel hat seine fünf Jahre beim „Straßenkreuzer“ gut genutzt. EDV-Operator, Lagerfachkraft, Sicherheitsfachkraft und gelernter Industriekaufmann sind die Berufe, in denen der 44-Jährige bislang tätig war. „Ich bin nicht arbeitslos, sondern Verkaufs- und Bürokraft beim ,Straßenkreuzer‘“, betonte er selbstbewusst. Das Schreiben helfe ihm, Erlebnisse aus der Jugend, der Kindheit und aus dem, was ihm auf der Straße widerfährt, festzuhalten.

Der Abend, an dem neben der Erlanger Band auch das Nürnberger Duo Brickwater zwischen den Leseblöcken auftrat, hatte viele Unterstützer: Die Musiker traten kostenlos auf, das Team hinter der Bar nahm fürs Bedienen kein Geld und auch der Raum war für die Veranstaltung kostenfrei zur Verfügung gestellt worden. So konnte das freiwillig bezahlte Eintrittsgeld als Spende an den Verein „Straßenkreuzer“ übergeben werden, der sie unter anderem für die Druck-, aber auch für Sozialkosten von Angestellten wie Nensel gut gebrauchen kann.

www.strassenkreuzer.info

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