Tattoo-Performance in der kunst galerie fürth: Mit Herzblut gezeichnet

27.10.2015, 12:30 Uhr
Tattoo-Performance in der kunst galerie fürth: Mit Herzblut gezeichnet

© Foto: Markus Kohler

Ja, es tut weh! Und es ist ein irres Gefühl. Vor dieser Erfahrung gab es allerdings Bedenken: Worauf lasse ich mich da ein? Werde ich den Schmerz aushalten? Der letzte Besuch beim Zahnarzt liegt immerhin Jahrzehnte zurück. Andererseits war ich schon einmal Zeuge einer Tätowierung. Der Mann hatte nicht gebrüllt, die Tätowiererin hatte sauber und professionell gearbeitet. Wäre da nicht das Sirren der Nadeln.

Pünktlich finde ich mich bei der kunst galerie fürth ein. Natascha Stellmach hat ihre Praxis im Raum gegenüber des Galeriesaals aufgeschlagen. Der Raum ist mit dunkelrotem Tuch ausgeschlagen. Das soll sich in ihren Worten so warm und heimelig wie ein Uterus anfühlen. In dieser Atmosphäre urmütterlichen Vertrauens sitzen wir uns gegenüber, bieten uns das Du an, fassen uns bei den Händen, schließen die Augen, atmen tief ein und aus und finden unsere Mitte. Also gut, ich lasse mich auf das Spiel ein.

Nun beginnt die Suche nach dem Begriff, den Natascha mir tätowieren soll. Bei „The Letting Go“ geht es darum, ein Problem, das den Freiwilligen belastet, in einem Wort zu fassen, und dieses Wort auf einen Körperteil freier Wahl zu tätowieren. Die körperliche Heilung bringt das Wort auf der Haut zum Verschwinden — vielleicht auch in der Psyche.

Ja, da weiß ich eine Geschichte zu erzählen. Eine lange, verwickelte Geschichte, die unser Geheimnis bleibt. Nur soviel: Ich schlage den Begriff „Zweifel“ vor, doch Natascha gibt sich damit nicht zufrieden. Da ist noch mehr, der Zweifel wurzelt ihrer Ansicht nach in tieferen Schichten. Natascha bringt den Begriff „Scham“ ins Spiel. Kann ich mich damit anfreunden? Wir wälzen Englisch- und Synonymwörterbücher, überlegen Alternativen. Geht’s auch auf Englisch oder Latein? Nein, für mich muss es ein deutsches Wort sein. Am Ende kommt mir die Erkenntnis: „Scham ist die Mutter des Zweifels.“ Natascha ist einverstanden.

Nun greift die Künstlerin zu Filzstift und Papier und schreibt das Wort in Druckbuchstaben hin. Zuerst in Versalien. Dann in Kleinschrift. Dann abwechselnd in Groß- und Kleinschreibung. Schließlich steht das Schriftbild fest: "SChAM".

Und wo kommt s hin? Nicht auf die Brust! Auch nicht auf den Bauch. Unbedingt auf eine Stelle, an der ich das Wort bequem lesen kann. Am besten beim Schreiben. Also auf den linken Unterarm. Will ich mich im Liegen oder im Sitzen stechen lassen? Nicht im Liegen, entscheide ich, sonst fühle ich mich als Patient. Wir betten den Arm in die richtige Position, damit sowohl ich bequem sitzen als auch Natascha entspannt arbeiten kann. Dann legt sie Papiertücher aus, desinfiziert den Arm, erklärt mir die Tätowierpistole und legt einen langen Metallstift ein. An dessen Ende ragen neun Nadelspitzen heraus. „Tiefe 1,2 Millimeter“, entscheidet Natascha. Dann streift sie sich schwarze Handschuhe über und gießt noch ein Desinfektionsmittel darauf. „Schließ’ die Augen, denk an deine Geschichte und überlasse dich dem Schmerz“, rät Natascha. Dann schaltet sie die Maschine ein.

Ein heißes Beißen gräbt sich in den Arm. Nicht wie der Stich einer Spritze, eher wie ein Nagen, wie das Fräsen eines bissigen Tierchens mit winzigen Zähnen. Wie eine Brennnessel, die sich in die Haut ätzt. Du willst, dass der Schmerz aufhört, du willst die Brennnessel abreißen, das Tierchen zerschmettern, den Arm in kaltes Wasser tauchen. Aber es geht nicht, denn du willst es ja. Du musst es ertragen. Und ja, es lässt sich ertragen. Aber das dauert! Ich riskiere einen Blick. Das S zeichnet sich hellrot ab. Als hätte jemand mit Filzstift auf die Haut gemalt. Doch nein, das ist das Blut in den feinsten Kapillaren unter der Haut, das sich da ansammelt, aber nicht zu Tage tritt.

Noch vier Buchstaben. Das C ist ein schöner Bogen, wieder und wieder fährt der Nadelbohrkopf in die Kurve. Endlich das kleine h. Erneut schließe ich die Augen, atme tief ein und aus und denke an meine Geschichte. Auch an schlimmere Momente, die ich überlebt hatte.

Endlich ist es vorbei. Zehn Minuten hat es vielleicht gedauert. Knallrot zeichnet sich das Wort ab. Meine linke Hand ist verkrampft. Natascha trägt kühle Salbe auf und eine Plastikfolie. Die bleibt für die nächsten drei Stunden drauf. Nach dieser Versorgung greift sie zur Kamera. Fasziniert studiere ich den Faltenwurf der roten Tücher auf dem Boden. Adrenalin und Endorphine wallen durch den Kreislauf. Ich weiß nicht, was ich von dieser Situation oder von mir selbst halten soll. Während Natascha fotografiert, blicke ich nicht in die Kamera, sondern daran vorbei, irgendwohin ins Weite. Auf der Straße begegnen mir Passanten. Bilde ich mir das ein oder gucken die mich tatsächlich so komisch an?

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