Terror mit tierischen Killerspielen

18.10.2011, 10:00 Uhr
Terror mit tierischen Killerspielen

© Winckler

Maja wurde von Musik geweckt. Sie lauschte mit geschlossenen Augen: „Stripped“ von Depeche Mode. „Let me see you stripped down to the bone”, lass mich dich nackt sehen, bis auf die Knochen. Sie mochte die morbide Schönheit dieses Bildes. Knochen waren fast wie Steine, die Knochen der Erde. Alte und verblichene Knochen jedenfalls, an denen kein Fitzelchen Haut, Haar oder Fleisch mehr hing. Maja blieb liegen, bis der Song zu Ende war, schlug dann die Decke zurück und stand auf. Sie würde nie zu den Lerchenmenschen gehören, die bei Tagesanbruch aus dem Bett sprangen. Dennoch mochte sie den Morgen, vor allem jetzt, im Herbst, wenn die Sonne in Zeitlupe aufging, hinter Nebelschleiern.

Dann sah sie die Blutspur. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Nein. Bitte nicht. Mit klammen Gefühlen ging sie der Spur nach. Tonio ließ sich nicht blicken, wahrscheinlich war er schon wieder unterwegs. In solchen Momenten hasste sie ihn. Sie hasste die gedankenlose Grausamkeit, mit der er seine Opfer quälte. Sie hasste es, dass er ihr den Tod ins Haus trug. Von wegen verblichene Knochen. Tonio hinterließ blutige Rümpfe, Köpfe mit toten Augen, abgetrennte Gliedmaßen, grünlich schimmernde Innereien, stinkende Gedärme. Oft aber auch fast unversehrte Leichen, an denen er das Interesse verloren hatte. Maja hatte es aufgegeben, all seine Opfer zu begraben. Sie begrub nur noch die Vögel, die jungen Kaninchen und Eichhörnchen, um die es ihr besonders leid tat. Ansonsten kämpfte sie ihren Abscheu nieder, sammelte die Überreste von Tonios Gemetzel ein, warf sie in den Wald und schrubbte die Spuren weg.

Passionierte Jäger glaubten ja, dass ihnen die Jagd in den Genen steckte, und huldigten ihr als Inbegriff alles Guten: Sport, Kunst sogar, Tradition, Waldpflege, ganz zu schweigen von Wildschweinbraten, Rehrücken und geschmortem Kaninchen. Fleisch von Tieren, die in Freiheit gelebt hatten, nicht bei Kunstlicht zusammengepfercht auf Spaltenböden. Ein Argument, das Maja respektierte. Dagegen konnte sie nicht das geringste Verständnis für die Jagd nach Trophäen aufbringen, fürs Töten um des Tötens willen, für den Triumph in einem ungleichen Kampf. Vor allem Großwildjäger sprachen gern davon, dass auch das Opfer seine Chance habe. Manche verstiegen sich sogar dazu, eine Art Liebesbeziehung zwischen Jäger und Opfer zu konstruieren, die ihren Höhepunkt im Tod des Opfers fände. Maja mochte morbide Poesie, aber das hielt sie für kompletten Blödsinn.

Sie glaubte, dass sie einer Ahnenlinie von Sammlern entstammte, und ernährte sich vorwiegend vegetarisch. Das machte es ja gerade so problematisch, dass sie mit einem passionierten Jäger zusammenlebte. Es stellte sie beinahe täglich vor die Frage, wie man jemanden lieben konnte, dessen Verhalten so wenig mit den eigenen Werten in Einklang stand. Maja glaubte nicht an bedingungslose Liebe. Nicht einmal Hunde, die vergleichsweise anspruchslos waren, liebten bedingungslos. Aber konnte man jemanden lieben, dessen Grausamkeit man verabscheute?

Als Mensch wäre Tonio ein übler Schlächter, dachte sie schaudernd. Einer, der seine Killerinstinkte gewissenlos auslebte und seine Opfer noch ein wenig folterte, um seine Reflexe zu trainieren. Aber Tonio war kein Mensch, er war ein gedankenloser, gewissenloser Kater. Deshalb konnte sie ihm verzeihen. Er war, wie er war, und konnte gar nicht anders.

Aber galt das nicht auch für die Großwildjäger? Und für ihren Bruder, der zu Majas Befremden zum passionierter Jäger geworden war? Nein, für den nicht, dachte sie aufgebracht. Aber vielleicht war es falsch, von denen, die ihr am nächsten standen, besonders viel zu erwarten. Vielleicht musste sie auch ihren Liebsten zubilligen, ihre Erwartungen zu enttäuschen. Mit Katzen ging das ja auch. Womöglich durfte man da nicht so große Unterschiede machen.

Seufzend goss sie das Putzwasser weg, wusch sich die Hände und setzte Kaffee auf. Dann ließ sie den Song noch einmal laufen. „Let me see you stripped down to the bone...“ Es konnte einen einiges lehren, wenn man mit einem Killer zusammenlebte. Über die Jagd. Über gedankenlose Grausamkeit. Und über die Liebe. 

 

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